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Zürich, und wie sie sahen, dass der Handel
Zugkraft gewann, erliessen sie eine besondere
Schiffahrtsordnung (1451), schlössen
mit Schwyz und Zürich Verträge über den
Schiffahrtsverkehr (1532) und errichteten
in Ziegelbrück eine eigene Zollstätte. Und
nun erhob sich ein sehr reger, stetig wachsender
Handel nach allen Ländern. Schiffe,
gefüllt mit Schiefertafeln, „Plattentischen",
Schabzieger, Käse, Fellen und Glarnertee,
fuhren von den Susten in Ziegelbrück und
an der Biäsche nach Strassburg und dem
Niederrhein. Ganze Wälder wanderten nach
Holland, um dort die Meerschiffe mit Masten
zu versehen oder zu Möbeln und Geigen
verarbeitet zu werden. Dem „Tischfergger"
folgte der Manufakturenhändler. Grosse
Handelsgesellschaften, die ihren Sitz meistenteils
in Ennenda hatten, wie die Wiener-,
die Deutschländer-, die Brüsseler-, die Holländerhandlung
, organisierten die Ausfuhr
von Leinwand-, Wollen-, Baumwollen- und
Seidenstoffen nach den fernsten Absatzgebieten
, und bei der dem Glarner von den
Zeiten seiner harten Arbeit her eigenen
Zähigkeit und Energie blieb der Erfolg nicht
aus. Das Hirtenvolk wurde zum Industrie-
und Handelsvolk. Wohlstand, Weltkenntnis
und Bildung verbreiteten sich bis ins
hinterste Dorf, und damit erwachte immer
mehr das Bedürfnis nach schönern Bürgerhäusern
. So entstanden z. B. in Ennenda
im Zeitraum von kaum 30 Jahren (1770 bis
1800) etliche zwanzig stattliche Herrenhäuser
solidester Konstruktion, die heute noch den
Wohnbedürfnissen des Bürgerstandes genügen
. Ähnlich ging es in Glarus, Schwanden
und andern Industriegemeinden. Die
Art zu bauen aber war von mancherlei
Einflüssen abhängig und wechselte mit den
Verhältnissen.
Die verschiedenen Arten des Bürgerhauses
. Seine älteste Form ist das hohe
Holzhaus. Wohl waren schon früh aus
dem Tätschhaus durch Vergrösserungen
Häuser von vornehmerem Zuschnitt hervorgegangen
, ohne jedoch etwas wesentlich
Neues zu bieten. Ein neues architektonisches
Prinzip trat dagegen im hohen
Haus zutage: die den Bergen abgelauschte
Entwicklung in die Höhe statt in die Breite
und die Ersetzung des flachen Daches mit
stumpfwinkligem Giebel durch das steile
mit spitzwinkligem. In dieser Änderung
kündigte sich eine neue Zeit an; das Haus
gewann plötzlich eine andere Physiognomie:
dort klein und untersetzt, passend zu dem
armen, von Lasten gedrückten Untertanen,
hier gross und hochaufgerichtet, von stattlichen
Formen, ziemend dem freien, stolzen
Bürger und Eidgenossen, der bei Näfels
mitgekämpft. Zu dieser Bauweise überzugehen
, lag nach der Befreiung ein ganz
direkter Anlass vor: Glarus sollte wie Altdorf
und Schwyz ein ansehnlicher Hauptort
werden. Der noch unbesetzte Baugrund
an der Strasse war jedoch dort immer spärlicher
geworden, so dass die Landsgemeinde
des Jahres 1419 jedem Bürger, der daselbst
bauen wollte, das Recht der Expropriation
an dem begehrten Grundstück zuerkannte,
wofern der Besitzer es nicht selbst überbauen
wollte, wohl das erste Beispiel des
auftretenten Expropriationsrechtes in der
Schweiz. Angesichts des kostspieligen Bodens
aber sahen sich die Bauherrn genötigt, die
Raumvermehrung in der Erhöhung des
Hauses zu suchen. Man setzte also auf die
bisher üblichen 1 bis 2 Stockwerke 2 bis 3
weitere auf und erhielt damit statt der gewohnten
3 bis 4 Zimmer nun deren 8 bis 9.
Diese Erhöhung zog aber eine nicht unwesentliche
weitere Änderung nach sich:
den Einbau von Treppenanlagen. Beim
niedrigen Holzhaus gab und gibt es nämlich
bloss die eine Treppe aussen bis zum
ersten Stock, während man in den zweiten
nur durch die im Wohnzimmer angebrachte
Ofentreppe gelangt, eine hinter dem Ofen
bis zu dessen Höhe aufsteigende Reihe von
Tritten, die als Sitze und, mit Schubladen
versehen, zugleich als Kommode dienen und
ihre Fortsetzung in einem leiterartigen, auf
dem Ofen aulliegenden Treppchen finden,
von dem aus man, freilich unbequem genug,
durch eine in der Zimmerdecke ausgeschnittene
Öffnung vermittelst Aufstossens des
darüber angebrachten Fallbrettes in die
Schlaf kammer hinaufschlüpft. Diese als Vermittlerin
der Wärme von der „Stube" zur
unheizbaren „Kammer" auch im Emmental
und den Vogesen beliebte Einrichtung
findet sich bis heute fast in allen alten
Häusern des Landes, selbst in solchen, in
denen es an richtigen Treppen nicht fehlt. —
vm
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