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Filippino Lippi
FILIPPINO hatte das Glück, in demselben
Augenblick zu sterben, als von anderen gefunden
wurde, wonach er sein Leben lang auf der Suche war.
Zwei Kulturgewalten ringen in ihm, ziehen ihn
hin und her, meistern ihn, statt dass er sie meisterte:
Naturschwärmerei und Antike.
In dem Naturgefühl des Quattrocento liegt viel
altheidnischer Pantheismus, viel zu freier Gottesverehrung
geläuterte christliche Askese. Aber das
Vermächtnis des doctor seraphicus, die helle Kinderfreude
an dem gottväterlichen Walten, verstand
Filippino nicht mehr zu hüten. Von den frommen
Lobgesängen des lichten Heiligen neigte er das Ohr
hinüber zu dem Donnerwort des Mönches von San
Marco. Und diese düstere, im Schwarzspanierton
gehaltene Gestalt gewinnt ihn bald in ihre Macht:
Filippinos innige Naturschwärmerei wandelt sich
zu religiösem Pathos.
In ähnlicher Weise ist sein nach der Seite
der Anmut hin hoch entwickeltes Formgefühl dem
grossen Stil der Antike erlegen. Ihm ging es, wie
den meisten seiner literarischen Zeitgenossen: nur
die Requisiten der Antike, nicht deren Geist wusste
er sich anzueignen. Er hielt sich sklavisch an die
überlieferten Formen und häufte statt eines lebendigen
Besitzes einen toten Reichtum.
Ihm selbst ist sein Abstieg um so weniger zum
Bewusstsein gekommen, als die Zeitgenossen den
Wandelbaren nach jeder Wandlung nur lauter beklatschten
. Ein verwöhnter Liebling der Grossen
ist Filippino durchs Leben gegangen. Früh erwarb
er die damals wichtigste Gönnerschaft des Magnifico;
später, in Rom, ward der Kardinal Caraffa sein
Schutzherr, der ihn, wie es in einem seiner Briefe
heisst, jedem Maler des alten Griechenlands vorgezogen
haben würde. Und als der Meister im April
1504 starb, erwiesen ihm die Bürger durch Schliessung
der Geschäfte die fürstlichen Ehren, mit denen allein
das anerkannte Genie zu Grabe fährt.
Dass sie die Anlage für die Ausbildung ansahen,
mag verzeihlich erscheinen. Deuteten doch schon die
Umstände, unter denen Filippino 1457 zur Welt kam,
auf prästabilierte Genialität. In einer Stunde heisser
Aufwallung seines immer verliebten Blutes hatte der
Kapellan des Nonnenklosters der hl. Margaretha
zu Prato eine widerwillige Braut Christi zu
seinem willigen Liebchen gemacht. Dem verbotenen
Bunde Fra Filippos und der Lucrezia Buti entstammte
Filippino. Erst ein päpstlicher Dispens
legitimierte das wilde Glück dieser Ehe und den
blonden Bastard.
Den kleinen Filippino denkt man sich gern auf
den Malgerüsten im Chor der Pieve, wo der Vater
die Wände mit den Taten und Leiden der heiligen
Johannes und Stephan ausmalt.
Der nächste Auftrag führt den Meister weit weg
nach Spoleto. Die Stelle des Kaplans erhält Fra
Diamante, und als 1469 Fra Filippo in der fremden
Stadt stirbt, empfiehlt er den Sohn der Obhut und
der Unterweisung dieses einstigen Gehülfen.
Fra Diamante wird wahrscheinlich Filippino
nach Florenz gebracht haben, und hier ist Sandro
Botticelli sein erster wahrer Meister geworden. 1472
steht Filippino als Gehülfe des Botticelli zusammen
mit Fra Diamante im roten Buch der Lucasgilde.
Lange hat man eine kleine Gruppe von Bildern
leicht kenntlichen Formates und anmutig erzählenden
Inhalts für Werke des Filippino angesehen, die
seine Jugendzeitausfüllen und seinen engen Anschluss
an Botticelli bekunden. Der Maler dieser reizenden,
hellfarbigen Bilder, deren etwas oberflächliche
Charakteristik in einer weichen Grazie der Bewegung
verschwindet, ist indessen eine von Filippino
gesonderte Persönlichkeit. Nur ihr Talent ruht auf
der gleichen Grundlage.
Mit der Aussonderung dieser Gruppe von Gemälden
verarmt Filippinos Jugendschaffen um sein
Reizvollstes. Unsere Blicke wenden sich nun nach
Rom, wo der junge Künstler inmitten einer von
Papst Sixtus IV aus Florenz verschriebenen Malerkolonie
an den Wänden der Palastkapelle des Vatikans
mithilft. Eine selbständige Stellung fällt ihm
dort nicht zu; er arbeitet unter Botticelli. Aber sein
Gewinn ist die Berührung mit der Auslese zeitgenössischer
Malkunst. Die Jahre in Rom sind
Filippinos Hochschulzeit für Freskomalerei und
Komposition gewesen. An der heimischen Tradition,
die ihn hier noch fest umhegte, fand er Halt und
Sicherheit der antikischen Art gegenüber. Zudem
lag noch vieles, das ihm später verhängnisvoll wurde,
unentdeckt unter dem Schutt der Campagna.
Seine erste meisterliche Probe ist das Bild mit
der Erscheinung der Jungfrau vor dem hl. Bernhard,
das Piero del Pugliese ihm auftrug. Von der Schönheit
jugendlicher Engel umleuchtet, den Boden
kaum berührend, tritt die zartgliedrige Frau zu dem
blassen, von Kasteiung und Studium abgezehrten
Heiligen, der in romantischem Felsversteck seine
Homilie schreibt. Und während sie ihm die schmale
weisse Hand ins Buch legt, blickt er aus der Welt
seiner Gedanken in entzückter Demut auf die unirdische
Erscheinung. Das ist aus zartester Em-
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