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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_07/0044
ganzen Fülle. Nichts ist gegeben als die Disputation
zweier erregter Menschen; wir aber glauben fast
eine Weltdebatte zu hören. Die Gegensätze Väter
und Söhne, Helden und "Welt, Angst und Kühnheit,
Egoismus und Aufopferung werden lebendig; der
typische Punkt ist in Erregung geraten und nun
flackert ein reichliches Brennen vor uns auf. Ich
möchte die Knappheit von Giottos Sprache mit der des
Parsifal vergleichen, welcher auch nur 1700 Worte
zählt. Die Unterströmungen sind die Hauptsache; das
breite Gewoge starker Erregungen schwillt unaufhörlich
vorwärts; aber es verrät sich nur hie und
da in Wellenköpfchen. Wir stellen uns dementsprechend
Giotto wohl als hartverschlossene Natur
vor, die vieles verbarg und nur selten sich mitteilte.
Alle Quattrocentisten erscheinen neben ihm geschwätzig
.

Man frage hier nicht nach der Perspektive und
verspotte nicht die allzukleinen Häuschen. Sie sind
nur scenische Notizen, wie Shakespeares berühmte
„Wald"-Tafel. Der Italiener lebt ja faktisch auf der
Strasse und alles Wesentliche spielt sich nicht im
Zimmer ab. Darum sind sie auch keine Interieurmaler
geworden. Dagegen steht es mit der Landschaft
günstiger, als man meist anzunehmen pflegt.
So verdankt bereits Giotto dem umbrischen Bergland
seine schönen Landschaften; in dem zweiten
Franz-Fresko (der Mantelspende) dämmert z. B.
ein Abendtal zwischen zwei hohen Abhängen, das
man gern zwischen Assisi und Perugia wiederfindet.
Dem Florentiner musste das umbrische Land Rätsel
aufgeben; denn hier fehlt jenes breite Talrund,
in dem die Blumenstadt liegt, und der Höhenkranz
schlingt sich nicht rings in ehrfurchtsvoller Ferne,
sondern drängt in treuherziger Kameradschaft bis
an die Tore der Stadt. Gerade in Bezug auf die
Landschaft sieht man das Fremde besser als das
Heimatliche, allzu Gewohnte. Auch im Quattrocento
stand die umbrische Flusslandschaft in der
Schätzung der Florentiner besonders hoch.

Genau in der Mitte seines Lebens kam Giotto
nach Rom, im gleichen Alter wie Goethe, noch nicht
zu alt wie Herder. Wie so vielen Berufenen, so hat
die ewige Stadt auch ihm zur ruhigen Grösse ver-
holfen und ihn gehoben, statt ihn zu entwurzeln.
Trotz des Jubiläumsrummels hat er Zeit behalten,
Auge und Herz den grossen schweigenden Mächten
der römischen Vergangenheit und Gegenwart zu
öffnen. Die schwerschimmernde Pracht der altchristlichen
Basiliken, die Säulenreihen von Sa Maria
maggiore und alle die Mosaiken von der Pudenziana
bis zu Sa Maria in Trastevere haben ihm damals in
die Seele geleuchtet und alles das weggefunkelt, was
noch von kleinen hausbackenen Provinzgedanken
dringeblieben war. Das beweist sein thronender

Christ vom Tabernakel in S. Pietro, das die feierliche
Grösse der ihn umgebenden Apostel. Das
antike Rhetorengeschlecht taucht hier auf; die Synodalen
der Pudenziana finden hier ihre Geschwister.
Wieder ist es die menschliche Figur, an der die
Steigerung fühlbar wird. Ein Wachstum bietet sich
unserm Staunen, wie es sich etwa in Mahomets
Gesang beschrieben findet: „Und nun schwillt er
herrlicher; ein ganz Geschlechte trägt den Fürsten
hoch empor." Wie verschieden mögen die Gedanken
dieser Monate von den bukolischen Jugenderinnerungen
gewesen sein, die Giotto auf den Wiesen
von Vespignano gesammelt hatte. Man hat den Eindruck
, dass er sich erst jetzt ins Freie gekämpft
habe.

So kann es denn nicht wundernehmen, dass
auf Rom sein reifstes Werk folgt. Es ist die Arenakapelle
in Padua. Eine alte Tradition meldet, dass
Giotto in Padua mit Dante zusammengetroffen sei;
und gern denken wir uns die Gänge aus, auf denen
diese beiden sich gegenseitig beschenkten. Alles in
der Arena zeigt das heitere Bemühen ruhiger Meisterschaft
. Gern übernahm der Künstler den geschlossenen
Apparat einer festen biblischen Ikonographie,
um innerhalb des Bekannten das Eigenste zu geben.
In der Kunst ist alle Tradition wertvoll und unentbehrlich
; denn erst auf dem festen Besitz des Gutbekannten
kann sich die höhere Konstruktion des
Neuen errichten. Auch hier ist die Reduktion
auf das Typische die Hauptarbeit des Künstlers gewesen
. Die Gestalten erscheinen in jener vornehmen
Huld und Grösse, die ihm Rom gelehrt
hatte. Namentlich die Verkündigung, die das Thema
für diesen der Vergine geweihten Raum angab, verrät
die Meisterschaft statutarischer Emphase. Das
entwickeltere Können hebt die Männer und Frauen
der Legende in eine festliche Sphäre. Um die junge
Braut Maria leuchtet es wie Maientag, als sie dem
hochzeitlichen Palmbaum zuschreitet. Wenn man
die Christusgestalt durchverfolgt, so kommt uns
Brunelleschis Bekenntnis auf die Lippen: Cristo
era una persona delicatissima. Mit weiser Absicht
reiht sich ein Bild ans andere, die Linien des vorhergehenden
aufnehmend und fortführend, sodass
alles festgefügt erscheint. Es ist das Gegenteil eines
aphoristischen Stiles. Nicht nur im kirchlichen
Sinne wächst sich die Mariologie zur Geschichte der
Menschenseele aus. Wir alle lesen dort unsere
eigenen Lebensmöglichkeiten. Die Mariengeschichte
beginnt mit der kurzen Wehmut des elterlichen Geschickes
, erhebt sich dann bald zum bräutlichen Feste
und Mutterglück, führt zur ruhigen, bedeutenden
Betätigung des Mannes und dann zur Katastrophe,
deren Ernst in der grandiosen Fermate der Pietä
auf die letzte Tiefe führt. Man glaube nicht, dass


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