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verschiedenen Stellen nicht genügte. Die Verrenkungen in den
Figuren und die Unruhe namentlich im Kinde kann man zwar
auch hier so wenig leugnen wie in dem bekannten Rundbild
der Uffizien mit der heiligen Familie, das unter den Jugendwerken
die spätere Richtung des Künstlers schon in eigentümlicher
Weise erkennen lässt; aber die Absicht auf die künstlichsten
Verschicbungen und Verkürzungen wie auf Abrundung
der Gruppe um jeden Preis macht sich hier nicht mehr mit
der Aufdringlichkeit geltend, wie in dem etwa ein viertel Jahrhundert
früher entstandenen Gemälde. Der Eindruck der Marmorgruppe
wird vielmehr bestimmt durch die grossartige Gestalt
der Maria mit ihrem ernsten Sinnen, die in ihrer eigentümlichen
Verschränkung die Gestalt des Kindes in geschicktester
Weise aufnimmt. Weit grösser ist freilich der Abstand zwischen
dieser Gruppe und der Marmorgruppe zu Brügge, die noch
ganz reliefartig komponiert ist.
57. Reynolds: Gräfin Albemarle. Eine aristokratische Frau
in höheren Jahren konnte nicht leicht vornehmer, dabei
charakteristischer gefasst werden, als Anna Lennox, seit 1723
Gemahlin des Grafen von Albemarle, durch Reynolds dargestellt
worden ist. Die ruhige Haltung, gemessen, ohne Steifheit, die
Farben — ein blau und weisses Brokatkleid mit einem Umhang
von schwarzer Seide darüber; dazu ein rotsammetner Sessel —,
die Andeutung des Geschäftigseins bei weiblichen Arbeiten
vereinigen sich, um dieses ruhige Wirken hervorzubringen.
Das Bild entstand in den Jahren 1757 und 1759.
58. Reynolds: Selbstbildnis. Rembrandt ausgenommen, hat
vielleicht kein Künstler so viele Selbstbildnisse gemalt, als
Reynolds. In der Royal Academy und in London (zwei Exemplare
) findet man sie. In der Malersammlung der Uffizien
hängt der kluge Kopf des englischen Meisters. Immer neue
Probleme der Belichtung, interessante Anordnung eines Kopfes
innerhalb der Bildfläche sucht er am eignen Bildnis zu lösen.
Auch auf dem reproducierten Bild, das früher der Vernon-
Sammlung angehörte, ist das Vorbild Rembrandts unverkennbar.
Der Künstler trägt roten Rock und schwarzen Sammethut;
Kragen und Manschetten sind zur Belebung des Bildes durch
Lichtstellen benutzt. Die Haltung ist vornehm repräsentativ, wie
es sich für den Präsidenten der Royal Academy geziemt. Das
Porträt entstand 1773.
59. Reynolds: Lady Cockburn mit ihren Kindern. Zwei
Gruppenbilder, auf denen Reynolds Mutter und Kind in
heiterem Spiel darstellte, erfreuen sich besonderen Rufes: das
der Herzogin von Devonshire mit dem kräftig zappelnden Baby
und Lady Cockburn mit ihren Kindern. Fast will es scheinen,
als habe in diesem Fall die zufällig beobachtete Kinderstubenszene
, wie die prächtigen Kleinen die Mutter umspielen und an
ihr herumklettern, den Künstler unmittelbar angeregt. Daraus
den Vorwurf abzuleiten, er habe etwas Unkünstlerisches gewagt,
geht nicht an. Denn gerade im heiteren Spiel verbinden sich
die Gestalten von Erwachsenen und Kindern am ungezwungensten
zur Gruppe. In der Rundung des Ganzen wird man leicht die
Berechnung des feinfühligen Künstlers entdecken. Das Bild
entstand i773; es ist mit des Künstlers Namen und der Jahreszahl
bezeichnet (eine grosse Seltenheit bei Reynolds) und wurde
in der Academy-Ausstellung von 1774 zuerst gezeigt. Die Dargestellte
, Tochter eines Geistlichen, war seit 1769 mit Sir
James Cockburn vermählt. Das Bild wurde von Wilkin als
„Cornelia, Mutter der Gracchen" gestochen.
60. Reynolds: Doppelbildnis. Reynolds hat sich für dieses
Doppelbildnis offenbar durch Porträts von van Dyck anregen
lassen. Er folgt ihm sogar in der Wahl des Kostüms,
welches das der eleganten Welt der Zeit Karl I. ist; die Haltung
des jungen Mannes links mit dem aufgestützten Arm wird aus
vielen der besten Van Dyck Porträts erinnerlich sein. Von den
Dargestellten war der eine (links), George Huddesford, in
jüngeren Jahren ein Schüler von Reynolds, von dem er manche
Arbeiten gut kopiert hat. 1775 hatte er in der Academy drei
Porträts ausgestellt, in den folgenden Jahren Stillleben. Später
lebte er als Geistlicher in Warwickshire. Auch als Poet und
Satiriker hat er sich einen Namen gemacht. Als Dichter war
auch der andere Dargestellte, John Cadrington Warwick
Bampfylde, bekannt. Das Bild ist im Jahre 1777 gemalt.
61. Thomas Gainsborough: Die Schwestern Linley. Das
Doppelbildnis der Schwestern Linley zählt zu den Hauptwerken,
die Gainsborough in Bath geschaffen hat. Die Anmut der
jungen Mädchen, die alle Welt entzückten, suchte er in der
etwas schmachtenden Haltung, in der fast übertreibenden Betonung
der Schlankheit festzuhalten. Dichtes Gebüsch umschliesst
sie; Primeln und Veilchen blühen, wo sie weilen. Die ältere
der Schwestern, Elisabeth Anna, die später sich von Richard
Brinsley Sheridan entführen Hess und ihm in Frankreich angetraut
wurde, hat die Noten sinken lassen und blättert nur
mechanisch in ihnen; die jüngere, Maria — sie heiratete später
Sheridans Freund Tickell — stützt den Arm auf die Guitarre.
Von Elisabeth Linley hat Gainsborough später, als sie die
Gattin seines Freundes Sheridan war, ein herrliches Porträt
gemalt (jetzt bei Lord Rothschild). Auch Reynolds hat sie
gesessen: ihre Züge dienten ihm für seine heilige Cäcilie.
62. Gainsborough: Der „blaue Knabe". Das gefeiertste
unter allen Bildern Gainsboroughs entstand nach der hergebrachten
Meinung 1779, ein Jahr, nachdem Reynolds in
seiner Akademierede die Theorie aufgestellt hatte, dass blau
als kalte Farbe für die Hauptmasse des Lichtes vermieden
werden müsse. Die neuere Forschung (Armstrong) dagegen
setzt die Entstehung des Bildes um das Jahr 1770 an, also
in die Zeit, als der Künstler in Bath seinen Wohnsitz hatte, und
bezieht jene Worte von Reynolds hauptsächlich auf eben dieses
Gemälde. Der Dargestellte war, wie durch gute Tradition
ziemlich feststeht, der junge Jonathan Buttall, Sohn eines Eisenhändlers
, der sein Geschäft in King Street, Soho, hatte und
dieses dem Sohne vererbte. Gainsborough kleidete den
entzückenden Burschen in van Dyck-Kostüm; er folgt diesem
seinem grossen Vorbild in Haltung und Ausdruck. Das Flimmernde
des blauen Gewandes schliesst die graziös gemalte Landschaft
mit dem stürmisch bewegten Himmel geschmackvoll ein. Die
blaue Masse wirkt aber nicht als kalte Farbe, sondern der
Maler hat eine Nüance gewählt, die warme Leuchtkraft besitzt.
An tadelnder Kritik hat es darum diesem reizvollen Bild von
künstlerischer Seite nicht gefehlt.
63. Gainsborough: Herzog und Herzogin von Cumber-
land. Bald nach seiner Uebersiedlung von Bath nach London,
trat Gainsborough zu der königlichen Familie in nahe Beziehungen
; er wurde von ihr sichtlich vor Reynolds bevorzugt.
Der erste, der ihm gesessen hat, war Henry Frederick, Herzog
von Cumberland, Georgs III. Bruder. Er führte ein solches
Leben, dass es in einer leichtsinnigen Gesellschaft allgemein
Anstoss erregte. Im November 1771 entführte er eine junge
Witwe, Mrs. Norton, nach Frankreich und Hess sich dort mit
ihr trauen. Die junge Herzogin war ausserordentlich anmutig;
sie hatte die reizendsten Augen, war aber (nach Walpole)
„kokett über alle Massen". Gainsboroughs Bild entzückt die
Besucher der Academy-Ausstellung von 1777. Der Künstler
hat hier ausser dem fürstlichen Gatten die Schwester der
Herzogin, die junge Elisabeth Luttrell, dargestellt. Ein Park
mit rauschenden Bäumen, hinter denen die Vase auf hohem
Postament halb verborgen ist, giebt für die liebenswürdige
Gruppe den geschmackvollen Hintergrund.
64. Gainsborough: Die Familie Baillie. Gainsborough ist
in seinen Gruppenbildern nicht besonders glücklich. Man
merkt deutlich, dass sie ihm Schwierigkeiten bereiten. Sie
erscheinen leicht gedrängt und unfrei. Auch das Bild der
Familie Baillie kann man von diesem Vorwurf nicht freisprechen.
Nicht eben geschickt ist die Trennung in Gruppen, zwischen
denen es an rechter Verbindung fehlt. Auch die sichtbare Beziehung
auf den Beschauer schädigt den Eindruck. Man setzt
das Gemälde um 1780 an; von den Dargestellten, die dem
bürgerlichen Stand angehörten, ist wenig bekannt.
65. Tizian: Der Mann mit dem Handschuh. Erst im
16. Jahrhundert verlässt man in Venedig die ältere Form des
Bildnisses, die den Kopf allein als Faktor anerkennt, und bringt
ein Stück der Gestalt mit auf die Bildfläche, vor allem aber
werden die Hände von nun an als wesentlicher Bestandteil verwertet
. Tizianos „Mann mit dem Handschuh", (L'homme au
gant) zeigt die neue Auffassung schon ganz durchgebildet, das
Momentane zufälliger Bewegung als wirkungsvoll und daher als
berechtigt zur Darstellung anerkannt. Der linke Arm ist leicht aufgestützt
, die mit dem Handschuh bekleidete Hand hängt herunter
und hält locker den zweiten Handschuh, indess die kräftig gebildete
Rechte nach links hin deutet. Dorthin blickt mit aufmerksamem
Auge der Jüngling. Ein schwarzes Kleid umgiebt die schlanke
Gestalt; in der Mitte geöffnet, lässt es einen breiten Hemdstreifen,
über dem eine schmale Goldkeite sichtbar ist, offen, dessen helle
Farbe zu dem Kopf überleitet. Die Leichtigkeit und die ungezwungene
Haltung eines solchen Bildnisses hat offenbar
van Dycks Porträtauffassung stark beeinflusst, dem freilich
weder diese Tiefe des Blickes noch auch die charaktervolle
Bildung der Hand hätten gelingen können.
66. Claude Lorrain: Seehafen. Das Bild ist als der sogenannte
„Bouillon Claude" bekannt geworden, da es, wie die
eigenhändige Inschrift des Malers bezeugt, im Jahre 1648 für
den Herzog von Bouillon gemalt worden ist. Es blieb bis zum
Ausbruch der französischen Revolution im Besitz der Familie,
kam dann nach England, wo es von Angerstein gekauft und
mit dessen Sammlung 1824 von der National Gallery erworben
wurde. Ausser durch die genannte Inschrift wird das Bild auch
durch Tafel 114 des „Liber Veritatis" beglaubigt. Unten rechts
trägt das Bild auch die fast unleserliche Aufschrift „La Reine .
De . Saba Va . Trover . Salomon". Dieses Hafenbild gilt von
jeher als eines der Meisterwerke Gelees; das Beleuchtungsproblem
gleicht dem der unvergleichlichen Radierung (Rob.
Dum. i5), noch ein so später und selbständiger Meister wie
Constable geriet vor ihm und den Gemälden Gelees überhaupt,
die jetzt in der National Gallery versammelt sind, in Entzücken.
Doch sind wir heutzutage, man darf wohl sagen glücklicherweise
, durch unsere neuere Kunst an eine kräftigere Kost gewöhnt
, und gerade dieses Bild, das vielleicht dem Künstler
selbst am liebsten war, spricht uns weniger an mit seinem
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