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dem Manierismus verfallen, besonders wenn er in
einer Stadt lebte, die ohne jede eigene, nationale
Kunstübung fast alles zu der Kunst und zum Kunstgewerbe
Gehörige aus dem Auslande bezog oder von
französischen Eingewanderten verfertigen liess, unter
Umständen auch es von deutschen Schülern ausländischer
Meister wohl oder übel annahm; kurzum,
in einer Stadt, die überhaupt erst seit einem halben
Jahrhundert recht ursprünglichen Zuständen entwuchs
und im Gegensatz zu ihrem anspruchsvollen, aber
abgeschlossen lebenden Könige sich schon mit unzulänglichen
Kunstwerken gern begnügte, wenn sie
ihr durch die Mode empfohlen wurden. Wer von
einem so wenig gebildeten Publikum in Nahrung
gesetzt werden wollte, durfte überhaupt
nicht wagen, ihm Erfindungen
eigentümlicher Art vorzulegen,
die es abgelehnt haben würde; er
war vielmehr geradezu gezwungen,
wie ein Fabrikarbeiter zu dienen
und dem gefälligen Marktcharakter
seiner Ware die besser erschaute
Wahrheit und die künstlerische Gewissenhaftigkeit
aufzuopfern.
Ghodowiecki nun wuchs auf
und lebte fort in einem kaum zu
lösenden Konflikt. Er war zum
selbständig schaffenden Künstler geboren
, aber nicht nur im und zum
Manierismus erzogen und bis etwa
zu seinem 45. Lebensjahr, in dem
er die Miniaturmalerei mit der Radierung
vertauschte, finanziell von
ihm abhängig, sondern in derselben
ungesunden Sphäre des Manierismus
schwebten auch alle seine
ästhetischen Ideale.
Die bildende Kunst wohl aller civilisierter Zeiten
hat ja ihr doppeltes Angesicht. Eine realistische,
mindestens naive Strömung läuft stets neben der
idealistischen einher; gerade wie dem nie aussterbenden
Volksliede, dessen Kunst nicht sowohl
auf einer geglätteten Form als vielmehr auf der
unbefangenen Aussprache von Gefühlen und Eindrücken
beruht, eine gelehrte oder kultivierte
Dichtung gegenübersteht, die auf Grund von
Schulung und Durcharbeitung bestimmt gefasste
Kunstwerke liefert. Wenn dann auch im Laufe der
Jahrhunderte, den Schicksalen und Zuständen eines
Volkes entsprechend, in seiner bildenden Kunst bald
die realistische, jugendliche, unmittelbarer aus dem
ewigen Urquell schöpfende Richtung, bald aber die
andere, minder robuste überwiegt, indem die eine
die andere immer ablöst, sobald sich nach dem Gesetz
des Blühens und Verblühens das Verhältnis
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•Jucn. fi^/en hervor,
Chodowiecki. Illustration zu
Sophiens Reise von Memel nach
Sachsen. Radierung.
ihrer Frische verschoben hat, so hat sich doch eine
Gewöhnung im allgemeinen als beständig erwiesen:
Gottheit und Göttliches, Held und Heldenhaftes,
überhaupt alles die natürliche Fassung Ueber-
schreitende wird den irdischen, zufälligen Formen
entrückt und in einer Weise gestaltet, die die nach
dem Ausdruck des Höheren und des Höchsten
ringende Phantasie als die allein würdige erachtet.
Der Anspruch, die Person Gottes oder Christi und
die Ereignisse der biblischen Geschichte in irgend
einer Weise stilisiert und idealisiert zu sehen, allegorische
Figuren durch eine in gewissem Sinne
konventionelle Darstellung gekennzeichnet, Denkmalshelden
in imponierender Erscheinung vorgestellt zu
bekommen, ist dem Publikum in
der Regel noch immer befriedigt
worden. Allerdings nicht ohne
bedenkliche und verhängnisvolle
Opfer. Denn es liegt doch wohl
auf der Hand, dass unter den Tausenden
von bildenden Künstlern,
die an die Bewältigung solcher Aufgaben
herantreten, verhältnismässig
wenige eine ausreichende Phantasie
und Produktivität besitzen, um neue,
ihrer persönlichen Empfindung
wahrhaft entsprechende Idealformen
zu schaffen oder auch nur die
überkommenen mit echtem Leben,
mit Blut von ihrem Blute und mit
dem Hauche ihrer eigenen Seele, die
dafür eine hochfliegende sein müsste,
zu erfüllen. Wenn aber ein Künstler
das nicht leistet, so ist überaus
gewöhnlich und nur zu bequem,
was ihm statt der eigenen Prometheusarbeit
zur Verfügung steht:
nämlich die Verwendung hergebrachter Erfindungen,
die ihm ohne persönliche Neuschöpfungen gelingen
kann — und dieser im Grunde unkünstlerische, genau
genommen handwerkermässige Behelf mit den
mehr oder weniger abgegriffenen Idealen anderer,
vielleicht ganz fremdartiger Geister ist von jeher
eine der gewöhnlichsten Ursachen des Manierismus
gewesen. Dazu kommt, dass der auf solche Bahnen
geratene Künstler dem Manierismus, der seelenlosen
Handfertigkeit, desto gewisser verfällt, je weniger er
die Natur und die Technik beherrscht, und dass er
die Wertlosigkeit seiner Masken desto weniger
empfindet, je eifriger er danach strebt, die von ihm
bewunderten Idealgestalten zum Segen der Menschheit
zu vervielfältigen und zu verbreiten.
In dieser Gefahr befand sich, wie alle Künstler
seiner Zeit, und zwar nicht nur die deutschen, auch
Chodowiecki. Er hat von Jugend auf in den kleinsten
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