Augustinermuseum Freiburg i. Br., 1009/11
Das Museum: eine Anleitung zum Genuß der Werke bildender Kunst
Berlin, 11. Band.[1911]
Seite: 12
(PDF, 164 MB)
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jedoch ihren Wert und gedachte sie oft nur als Mittel
zur Erreichung vermeintlich höherer Zwecke zu benutzen
. Trotzdem gelangte der gute Genius siegreich
zu seinem Rechte, unterstützt von einsichtigen Verlegern
und Kunstfreunden, die von dem Künstler
Arbeiten forderten, in denen seine charakteristischen
und seltenen Fähigkeiten zu Tage traten.

Und unzweifelhaft mit eigenem, innigem Behagen
hat der Meister sich seiner Laune und seiner
Natur überlassen, sobald der manieristische Genius
der Erhabenheit ihm den Rücken wendete. Wie die
Liebe zu Gott, so war ihm eine herzliche und bewundernde
Liebe auch zur irdischen Schöpfung ins
Herz gepflanzt, und der Trieb, die Menschen zu beobachten
und zu erkennen, das Erkannte aber, wo es
anging, getreu und ehrlich darzustellen, beseelte ihn
durchaus. Als ein Glück ist dabei zu bezeichnen, dass
das Gebiet, das hauptsächlich, ja fast ausschliesslich
seine Phantasie zur Wiedergabe anregte, ein verhältnismässig
beschränktes war, nämlich die Gesellschaft
der Zeitgenossen, die ihn umgab, und dass
die damalige Mode, die nach miniaturartigen Radierungen
verlangte, ihm ein Ausdrucksmittel in die
Hand gab, das seiner Begabung und seiner an sich
nicht eben glücklichen künstlerischen Erziehung
noch am ehesten entsprach.

Schon seine ersten unbefangenen Versuche mit
der Nadel (1757) zeigen, worauf es ihm eigentlich
ankommt. Er kopiert zwar, um sich zu üben, gelegentlich
irgend eine Vorlage, er wagt auch ein für
den Verkauf bestimmtes und ziemlich misslungenes
Reiterbildnis Friedrichs des Grossen, aber die Hauptsache
bleibt die einfache, oft sogar flotte Wiedergabe
von Gestalten, die er in seinem Hause oder
auf der Strasse beobachtete. Aus den Einzelgestalten
werden Gruppen; die natürliche Anmut, die er aufsuchte
, liess sich dabei durch kleine graziöse Kunstgriffe
erhöhen. Weil aber eine heitere Wahrhaftigkeit
überall die Grundstimmung bildete, und selbst
in der Abbildung des Lasters und des Elends nicht
ganz fehlte, wurde allen diesen kleinen Werken der
anspruchslose Charakter, ohne den sie nicht auftreten
durften, glücklich gewahrt. Und als vollends,
seit 176c), die Herausgeber der bedeutendsten Kalender

jener Zeit, besonders des Berliner Genealogischen,
des Westpreussischen, des Gothaiscben, des Lauen-
burger und des Göttinger, sich des Künstlers bemächtigten
, dazu auch die Verleger der gelesensten
bürgerlichen Romane und Novellen sich an ihn
wandten, da entwickelte sich Chodowiecki, von den
dankbaren, ihm bequem liegenden Stoffen getragen,
zu einem virtuosen Meister psychologisch feiner
Charakteristik und überraschend realistischer Darstellung
der sentimental und humoristisch bewegten
Gesellschaft. An Arbeiten wie den Blättern zur
„Minna von Barnhelm", zu Gellerts und Lessings
Fabeln und den Reihenfolgen der „Heiratsanträge"
und der „Modethorheiten", an den Illustrationen zu
Nicolais „Sebaldus Nothanker" und Hippels „Lebensläufen
" hielt sich der schaffensfreudige Künstler, der
mit offenen Augen und offenem Herzen lebte und
wirkte, schadlos, wenn die willige Hand der lähmenden
, feierlichen Frömmigkeit hatte dienen müssen.
Ja so reichlich quollen dem wackeren Mann die unterhaltenden
Gedanken, dass er mit seiner zum Kleinsten
geschickten Feder noch tausend satyrische, witzige,
phantastische Einfälle auf die Ränder seiner Platten
bringen konnte. Und wenn er auch selbst in diesen
Werken und in der Technik nicht durchaus selbstständig
, sondern oft als Schüler der Franzosen dasteht
, so ist er immer echt in der Empfindung und
also im wesentlichsten Punkte ein origineller Künstler.

Darauf aber kommt es eben an, und es scheint
nur billig, dass wir ihm die heute ungeniessbaren
und gewiss auch schon damals den wahren Kunstfreunden
unerfreulichen Werke, mit denen er in
gutem Glauben die Natur zu verschönern trachtete,
nicht anrechnen. Denn wir haben gewiss alle Ursache
, eine herzliche Dankbarkeit ihm gegenüber
walten zu lassen: Dankbarkeit dafür, dass er, zunächst
als fast der Einzige und jedenfalls für lange Zeit als
der Glücklichste, den Sinn und die Augen seines
Publikums wieder einmal auf die Natur, und war
es auch nur die der bürgerlichen Gesellschaft, gelenkt
hat. Die kleinen Blätter, auf denen er gewandt
und zierlich wie ein Epigrammatiker seiner Lebensweisheit
künstlerische Formen verleiht, bewahren
seinen Namen vor Vergessenheit und Tadel.

Wolfgang von Oeningen.

iP* . ... ¥

Chodowiecki. Einwanderung der Franzosen zur Einführung der Regie. Radierung.

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