Augustinermuseum Freiburg i. Br., 1009/11
Das Museum: eine Anleitung zum Genuß der Werke bildender Kunst
Berlin, 11. Band.[1911]
Seite: 55
(PDF, 164 MB)
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keinerlei Nahrung bietende Anschauungsweise —
und auch dann erst zum Teil — überwunden werden
konnte. Selbst Bilder, wie Troyons „Am Morgen"
(Mus. i, Tf. 144) oder Rosa Bonheurs „Beim Pflügen"
(Mus.4,Tf. 80), die den Höhepunkt dieser Richtung bezeichnen
; ja Millets Aehrenleserinnen (Mus. 1, Tf. 54)
und das Angelus (Mus. 4, Tf. 159) — lauter Werke
aus den fünfziger Jahren — verdanken ihren Wert weit
mehr dem in ihnen niedergelegten gegenständlichen,
auf das Gemüt wirkende Gehalt, der poetischen
Stimmung, als der malerischen, auf das Auge und
damit unmittelbar auf die Phantasie wirkenden Ausführung
. Nur in seinen Landschaften (Kirche von
Greville Mus. 2, Tf. 159) und einigen auf die Farbe
hin komponierten Genrebildern, wie dem Schweineschlachten
, hat Millet diesen Mangel überwunden.

Dass der künstlerische Wert eines einzelnen
Werkes oder der Thätigkeit eines einzelnen Künstlers
nicht in erster Linie auf der technischen Durchführung
, sondern auf der Erfindung und deren klarer
Verbildlichung beruht, hat die Wirksamkeit eines
Cornelius und Rethel bewiesen, deren Farben gewöhnlich
von unerträglicher Geschmacklosigkeit sind;
auch die deutschen Genremaler der zweiten Hälfte
des Jahrhunderts, ferner Feuerbach, Menzel, Gebhardt
, verdanken ihren Ruhm gleichfalls mehr dem
inneren Gehalt als der malerischen Erscheinung ihrer
Bilder: für den Fortschritt der Kunst als eines
Ganzen, für die Entwicklung der Anschauungsweise
ganzer Zeiten aber kommen die technischen Fragen,
die Wiedergabe der Natur nach ihrer farbigen wie
nach ihrer körperlichen Erscheinung, in erster Linie
in Betracht. In dieser Hinsicht bot die Kunst, welche
sich während der ersten Hälfte des Jahrhunderts
ausgebildet hatte und in den folgenden Jahrzehnten
durch eine straffe, vornehmlich in Paris betriebene
Schulung bis zur Virtuosität gesteigert wurde, den
nach Selbständigkeit strebenden Geistern eine eng
geschlossene Reihe von Hindernissen, die erst nach
langem heissen Ringen beseitigt werden konnten;
das Ergebnis war dann aber auch eine vollständig
erneuerte Kunst.

Als Pfadfinder traten ziemlich gleichzeitig um
die Mitte des Jahrhunderts in England die Prae-
raphaeliten, in Frankreich Gourbet auf. Die ersteren
eroberten der Kunst wieder die reine unverfälschte
Farbe und die Ehrfurcht vor den Einzelformen der
Natur; Gourbet lehrte die Welt wieder als eine grosse
einheitliche Realität erfassen, die ihren eigenen Gesetzen
folgt und nicht erst künstlich zurechtgestutzt
zu werden braucht, um künstlerische Wirkungen
hervorzurufen. Was ihm in seinen Anfängen noch
gefehlt hatte, die Weichheit der Luft, die Leichtigkeit
der Schatten, der Zusammenklang der Farben,
das wurde ihm selbst (Rehe im Walde Mus. 1, Tf. 79)

sowie einer Reihe gleichstrebender Künstler, unter
denen namentlich Whistler (Carlyle Mus. 4, Tf. 111,
seine Mutter Mus. 2, Tf. 103), Puvis de Chavannes
(Wandbilder des Pantheons Mus. 1, Tf. 62), Manet
(Im Treibhause Mus. 2, Tf. 31 — Chez le pereLathuile
Mus. 5, Taf. 71) und Degas zu nennen sind, in den
sechziger und siebziger Jahren zu teil, wobei der
Einfluss, den die harmonischen Farbenstimmungen
des japanischen Holzschnitts besonders seit der
Pariser Weltausstellung von 1867 ausübten, nicht
gering anzuschlagen ist. In Deutschland verfolgte
Leibi (Die Dorfpolitiker Mus. 5, Tf. 7) ähnliche
Bahnen.

Waren diese Künstler bis zu den feinen grauen
Schatten vorgedrungen, welche es gestatteten, die
Farbe als einen wesentlichen Bestandteil der Komposition
und nicht bloss als einen mehr oder weniger
willkürlichen Gegensatz zu dem gleichmässigen, das
Bild beherrschenden und ihm erst Halt gebenden
Dunkel zu behandeln, so lag es nahe, von hier aus
noch den weiteren Schritt zu thun und den Schatten
selbst die Farbe wiederzugeben, die ihnen in der
freien Natur thatsächlich anhaftet. Diese Neuerung,
die um 1870 von den französischen Impressionisten,
Manet und Monet an der Spitze, ausging, bewirkte
allmählich einen vollständigen Umschwung in der
europäischen Malerei. Nicht als ob es gegolten hätte,
die durch Jahrhunderte geübte, auf der Modellierung
beruhende Malweise durch diejenige zu ersetzen,
welche in der Farbigkeit der Schatten, in dem ihnen
gemeinsamen Luftton das Einigungsmittel besass:
sondern es wurde nur der Einsicht die Bahn erkämpft
, dass die eine Auffassungsweise so berechtigt
sei wie die andre, sobald die Umstände es fordern.
Ein angestrengtes Studium der Natur zeigte, dass
es nicht angehe, bei zerstreuter oder von hinten einfallender
Beleuchtung die Schatten so dunkel und
farblos zu malen, wie sie bei dem einseitigen Atelierlicht
erscheinen. Gab man ihnen aber den blauen
oder violetten Ton des Himmels, so konnte man
den Lichtern nicht mehr die willkürliche Färbung
verleihen, welche mit farblosen Schatten vereinbar
ist; sondern diese Lichter mussten zu den blauen
Schatten stimmen, also in derselben Stärke und Abtönung
erscheinen, wie sie in der durch das gemeinsame
Sonnenlicht zusammengehaltenen Natur auftreten
. Durch diese Folgerichtigkeit der Farbenwerte,
welche der Malerei weite bisher nicht ausgebeutete
Gebiete des Darstellbaren und die Phantasie zur
Nachschaffung Anregenden erschloss, unterscheidet
sich die Freilichtkunst wesentlich von der ihr sonst
am nächsten stehenden schönfarbigen Manier der
älteren Malerschulen, welche sich nur ausnahmsweise
— es ist dabei namentlich an Piero della Fran-
cesca zu erinnern — den Farbenabstufungen der


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