http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_11_1905/0203
NEUREGELUNG DES URHEBERRECHTES AN KUNSTWERKEN
Werke, die durch ein der Photographie ähnliches
Verfahren hergestellt werden.
Darüber, was man unter einem Werke der
bildenden Künste zu verstehen hat, enthält
weder das Gesetz vom 9. Januar 1876 noch
der neue Entwurf eine Bestimmung. Abgesehen
von der Sonderstellung der Bauwerke
, von der noch zu sprechen sein wird,
darf man sagen, daß das jetzige Gesetz als
Werke der bildenden Künste alle Erzeugnisse
menschlicher Tätigkeit geschützt wissen will,
die zum Zweck ästhetischen Genießens durch
Gestaltung stofflicher Mittel — Teppichgärtnereien
und lebende Bilder gehören nicht
hierher — eine Vorstellung zur Anschauung
bringen, einerlei, welches Maß von Vollkommenheit
erreicht worden ist. Ist ein
solches Werk aber mit dem Willen des Urhebers
an einem Werke der Industrie, der
Fabriken, Handwerke oder Manufakturen
nachgebildet worden, so genießt es nach § 14
des Gesetzes vom 9. Januar 1876 den Schutz
gegen weitere Nachbildungen an Werken der
Industrie etc. nur nach den ' Bestimmungen
ARNOLD BOCKLIN AMOR, DIE PFEILE SCHÄRFEND
Aus dem Triptychon ,,Venus Genitrix"
des Gesetzes vom 11. Januar 1876 betreffend
das Urheberrecht an Mustern und Modellen.
Der Schutz, den dieses Gesetz gewährt, reicht
weniger weit als der den Werken der bildenden
Künste sonst nach dem Gesetze vom
9. Januar 1876 zukommende Schutz und ist
überdies an die Einhaltung von Formvorschriften
, vor allem an die Anmeldung des
Werkes zum Musterregister, gebunden. Weil
das Kunstwerk mit der Nachbildung an einem
Industrieerzeugnis in die Klasse der gewerblichen
Erzeugnisse tritt, soll es — dies war
der Gedanke des Gesetzgebers — gegen die
weitere Nachbildung im Bereiche der Industrie
auch nur denjenigen Schutz in Anspruch
nehmen können, der den gewerblichen Mustern
und Modellen eingeräumt ist.
Auf diesen gewerblichen Musterschutz beschränkt
sind von vornherein trotz alles
vielleicht vorhandenen Kunstwertes jene Erzeugnisse
, die nicht wie die Werke der
bildenden Künste für das ästhetische Bedürfnis
, sondern für einen praktischen Gebrauchszweck
geschaffen sind. Eine Tapete, von
Meisterhand entworfen, mag das ästhetische
Gefühl in viel höherem Maße befriedigen,
als die von Stümperhand gemalten Bilder,
die vielleicht an die mit dieser Tapete bekleidete
Wand gehängt werden, der Meister,
der sie entworfen hat, genießt darum für
sein zunächst einem praktischen Zwecke
dienendes Werk im Gegensatze zu den Urhebern
der schlechten Bilder doch nur den
geringeren gewerblichen Musterschutz.
Man wird diesen Zustand ganz gewiß nicht
als erfreulich bezeichnen können. Der Entwurf
will ihn denn auch beseitigen; er will
„die angewandte Kunst von den Beschränkungen
des gegenwärtigen Rechtes befreien
und sie urheberrechtlich der hohen Kunst
gleich behandeln". Es mag dahingestellt
bleiben, ob diese Absicht wirklich, wie es
in den Erläuterungen des Entwurfes heißt,
einfach dadurch erreicht wird, daß man in
das neue Gesetz den obenerwähnten § 14
des Gesetzes vom 9. Januar 1876 nicht aufnimmt
; jedenfalls ist der von dem Entwurf ein-
genommeneStandpunkt, trotz seines schätzenswerten
Wohlwollens für unser Kunstgewerbe,
in einer Hinsicht nicht unbedenklich. Das
Recht kann äußere, objektiv feststehende
Merkmale bei der Aufstellung seiner Sätze
nicht entbehren, wenn nicht dem subjektiven
Ermessen des Richters ein gar zu weiter
Spielraum gelassen und damit alle Aussicht
auf eine einigermaßen gleichmäßige Rechtsprechung
preisgegeben werden soll. Um zu
entscheiden, ob das Gesetz vom 9. oder das
Die Kunst für Alle XX.
161
21
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_11_1905/0203