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AUS DEN ERINNERUNGEN EINES MUSEUMSDIREKTORS
groben Umrissen eine Darstellung des heiligen
Rockes, auf der anderen das Kreuz mit
drei Nägeln auf einem Dreiberge und die
Initialen IHS. Dem beiliegenden Briefe zufolge
stammte das Stück aus einem fränkischen
Grabe in Andernach, stellte eine Pilgermedaille
vor, wie man sie von den Wallfahrten
zum heiligen Rocke mitbrachte und sollte
durch seine Fundumstände den Beweis erbringen
, daß die
Verehrung dieser
Reliquie bis in vor-
karolingische Zeit
zurückreiche. Der
Direktor bedauerte
lebhaft, dem Fundstücke
diese Beweiskraft
nicht beimessen
zu können,
da es nach der Verzierung
der Rückseite
frühestens
dem sechzehnten,
nach Form und Erhaltung
des ganzen
aber wahrscheinlich
gar erst dem
Anfange des neunzehnten
Jahrhunderts
angehöre. Und
was den Fund in
einem fränkischen
Grabe betreffe, so
wäre dies nichts als
ein ziemlich ungeschickter
Händlerkniff
. Darauf erfolgte
aus Trier eine
ärgerliche Erwiderung
, man würgte
die Enttäuschung
herunter und ließ
den Fund wieder
in der Versenkung
verschwinden. Ein
Versuch, ihn etwa
in der Weise auszuschroten
, wie das
bekannte Elfenbeinrelief mit der Ueberführung
von Reliquien in eine Kirche, das im Schatze
des Trierer Domes verwahrt wird, ist meines
Wissens nicht gemacht worden. Uebrigens
verüben Zufälligkeiten manchmal ähnliche
Streiche, wie die Hände unzuverlässiger Händler
und setzen die Zuverlässigkeit der modernen
Wissenschaft des Spatens auf eine
harte Probe. Einmal wurde ich herbeigerufen,
um die Ausgrabung einiger römischer Stein-
JOSEF FLOSSMANN
särge zu leiten, auf die man bei der Anlage
einer Wasserleitung gestoßen war. Vor meinen
Augen ward der schwere, etwa 70 cm dicke
Deckel eines Sarkophages mit Brechstangen
und Pfählen gehoben, wobei er in der Mitte
barst. Der Sarg selbst, voll feuchter schlammiger
Erde, in welcher die auseinandergefallenen
Knochen des Gerippes eingebettet
waren, schien keine Beigaben zu enthalten.
Aber nach längerem
vergeblichen
Suchen stieß ein Arbeiter
einen Freudenruf
aus:
„Herr Doktor,
'ne Münz', 'ne
Münz!"
Ich nahm das
Stück aus seinen
Händen, reinigte es
selbst und las mit
tötlicher Sicherheit
zu meinem Schrek-
ken darauf die Legende
: Van Hou-
tens Kakao ist der
beste.
„Eine echtamerikanische
Reklame",
dachte ich, nachdem
ich meine Fassung
wiedererlangt
hatte. Aber bald
war das Rätsel gelöst
. Der schwere
Sargdeckel hatte,
sei es von Anfang
an, sei es infolge
der vielen Erschütterungen
, welchen
er im Erdboden
durch Jahrhunderte
ausgesetzt war, einen
Spalt. Der
Deckel der Kakaobüchse
— als solcher
entpuppte sich
die Münze — war
auf der Straße fortgeworfen worden, hatte sich
zwischen den Pflastersteinen durchgedrängt
und war in dem aufgeschütteten Boden, der
durch das Legen von Kleinbahnschienen, Gas-,
Wasserleitungen und Kanalröhren immer wieder
aufs neue aufgewühlt wurde, allmählich
bis zum Sarkophage und durch den Spalt in
diesen hinabgesunken.
Wer heutzutage bei der großen Konkurrenz
etwas besonders Gutes erwerben will, muß
BEETHOVENRELIEF
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