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-ss-£sö> EIN BEITRAG ZUM WERDEN DER NEUEN KÜNSTLERISCHEN KULTUR <^=ü=-
ALOIS KOLB-MAGDEBURG
NACHT (RADIERUNG)
und ihnen damit zumuten, auf lebendige Wirkung
, auf objektive Gestaltung und volle Tat
zu verzichten. Nicht jeder Künstler ist ein
Peter Behrens, nicht jeder hat zu einer
normalen, vollen künstlerischen Energie noch
das Mehr, selbst eine Kultur zu sein, selbst
um sich her eine Kultur hervorzurufen, aus
der heraus dann an ihn die Forderungen und
Bedürfnisse hilferufend heranschwellen. Nicht
jeder hat in seiner eigenen Persönlichkeit
soviel überzeugende Form, daß deren Einwirkung
andere Persönlichkeiten mit der
Sehnsucht nach gleicher Formung erfüllt und
so gewissermaßen selbst ihre Auftraggeber
erzieht und erschafft; und nicht ein jeder,
der dies vielleicht könnte, hat den Mut, das
Mißtrauen und Vorurteil zu ertragen, was
dieses Plus zu seiner künstlerischen Schöpferkraft
bei anderen Künstlern erweckt, die es
nicht haben und also natürlich für „unkünstlerisch
" und „Pose" ausgeben.
Es ist aber auch nicht jeder so demütig
und subaltern als Mensch, daß er deshalb
seine eingeborenen Instinkte und Gaben preisgäbe
und etwa ein Porträt- oder Landschaftsmaler
nach der gerade für „modern" geltenden
Schablone würde. Was bleibt einem solchen
anders übrig, als uns zunächst einmal zu
erzählen, was er wohl machen würde und
machen könnte, wenn er in eine reifere Kultur
hineingeboren wäre und in dieser die
Auftraggeber fände, die großen anspruchsvollen
, denen das, was er als Bestes zu geben
hat, gerade noch gut genug wäre, um ihren
Alltag damit reizvoller zu gestalten. Das
Mittel, das Werkzeug, durch welches ein
Bildnergeist von seinen Absichten erzählt,
ist der Stift, der Griffel. So kommt Kolb,
so kommt Greiner, so kommt noch mancher
andere heute recht gezwungen-ungezwungen
dazu, den Stift in die Hand zu nehmen und
auf dem Papier davon zu phantasieren, was
ihn erfüllt, was in ihm nach Auswirkung
schreit. Er will aber, daß recht viele erfahren
von seiner Not und seiner Sehnsucht.
So schreibt er denn auf die kupferne Platte
und schiebt sie in die Presse, läßt hundert
und aberhundert Abdrücke hinausgehen und
sie alle sagen: das könnt ihr von mir haben!
Wollt ihr es denn nicht? Noch immer nicht?
Künstler wie Kolb müssen heute Radierer
werden aus Notwendigkeit; doch aus einer
anderen Notwendigkeit als etwa Goya,
Klinger, Rops und diese wieder aus anderer
Notwendigkeit als etwa Manet, Leibl und
Liebermann, oder, um noch den Größten aller
zu nennen, die je ein Stück Kupfer beschrieben
, als Rembrandt.
Die Vertreter der „absoluten Malerei", die
Rembrandt, Manet, Menzel, Leibl, Liebermann
greifen zum Stifte, um ihr „letztes
Wort" zu sagen,um die Rhythmik der Lichtabstufung
, welche das Wesen ihrer Kunst
ist, rein und ganz unvermittelt darzustellen.
Es muß jeden Maler im eigentlichen Sinne
letzten Endes zum Schwarz-Weiß drängen,
denn um die äußerste Intensität im Vortrage
der Licht-Rhythmik zu erlangen, muß er sich
von dem beschwerenden, hemmenden Medium
der Farbe emanzipieren.
Die Kategorie Goya — Klinger — Rops
kommt aus ganz anderen Gründen dazu.
Klinger hat darüber in seiner Schrift „ Malerei
und Zeichnung" ein Bekenntnis abgelegt. Sie
wollen überhaupt keine malerische Form,
sondern sie wollen einen Ideen-Inhalt aus
sich herausstellen: Lyrik, Epik, Satire. Sie
handhaben die linearen zeichnerischen Elemente
wie der Schriftsteller das Wort, sie entrollen
als Erzähler lang zusammenhängende
Zyklen, sie schleudern als demagogische
Volksredner aufhetzende Schlagwörter unter
die Massen, sie schreien der entsetzten Menschheit
ihren Ekel, ihre Wut, ihre empörte Qual
ins Angesicht, sie zerren die Greuel und die
schamhaftesten Dinge mit grimmigem Gelächter
aus den Verborgenheiten und schonen
auch die allergeheimnisvollsten nicht, die
wilden Visionen, die zügellosen Ausschweifungen
, die unersättlichen Vampyre und grausamen
Sphinxe, von denen ihre eigenen Seelen
heimgesucht werden. Hier stehen wir tief
im wundersamen Nachtlande der Kunst, wo
uns Goya und Blake, Rops und Beardsley,
Klinger und Kubin entgegenkommen wie
die Schatten, welche aus der stygischen Tiefe
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