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ARCH. FRITZ SCHUMACHER-HAMBURG
KREMATORIUM DRESDEN: WÄRTER HÄUSCHEN AM EINGANG
DAS KREMATORIUM IN DRESDEN
Seit aus Friedrich Theodor Vischers Munde
das bekannte Wort von dem Bruch der Religion
mit der Kunst gefallen ist, hat man für
den Mangel an schöpferischer Kraft, der das
große Gebiet der kirchlichen Kunst in der
zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts
kennzeichnet, stets die historische Kritik, die
alles zersetzt und auflöst, und den modernen
Materialismus verantwortlich gemacht. Die Gegenwart
ringt um einen künstlerischen Ausdruck
für die Zweckforderungen gerade jener
Mächte, die, auf dem Boden der Naturwissenschaften
und der von ihnen geleiteten Technik
stehend, das Streben des Menschen nach Ueber-
windung der Materie geschaffen hat. Und wir
erleben es heute, wie die erhabenen Zeugen
einer architektonischen Tradition, die aus einem
Höchstmaß rein idealer Gesinnung geboren sind,
und die man jahrhundertelang als ewig gültige
Vorbilder baukünstlerischer Tätigkeit gepriesen
hat, all ihren Glanz und Schimmer verlieren,
wenn wir sie im kühlen Lichte der Forderungen
des Tages betrachten. Nicht als ob diesem Tag
der Idealismus fremd wäre. Aber es ist kein
Idealismus, der im Dämmer gotischer Kapellen
mystischer Selbstentäußerung nachträumt, sondern
eine Kraft, die glaubt, nur dann dem
Unendlichen der Welt seine Geheimnisse entringen
und den Gedanken auf den Thron des
neuen geistigen Königreichs setzen zu können,
wenn sie den Boden von Grund aus kennt,
auf dem sie steht und in dem sie wurzelt, und
ihn beherrscht, weil sie ihn kennt.
In dem künstlerischen Problem des Krematoriums
scheinen Forderungen des Materialismus
und des Idealismus enger verschwistert als
in allen sonstigen Aufgaben des neuzeitlichen
Monumentalbaues. Die Waffen, die wir im
Kampfe für die Feuerbestattung führen, sind
von Gesetzen der Hygiene und der Wirtschaftspolitik
geschärft. Der Zersetzungsvorgang, den
die Körper in der Erde durchmachen, droht,
wenn er in der Vielheit sich abspielt, wie sie bei
großstädtischen Friedhöfen unvermeidlich ist,
den Boden und damit das Wasser mit allerhand
Krankheitskeimen zu versehen, die den zahlreichen
hygienischen Gefahren der Städte eine
neue hinzufügen. Auf der andern Seite zwingen
die hohen Bodenpreise die Gemeinden, die
Friedhöfe so weit außerhalb der Stadtgrenzen
anzulegen, daß der Verkehr dorthin nur mit erheblichem
Zeitaufwand möglich ist. Dabei stellt
die Beschaffung des Terrains außerordentliche
Anforderungen an die finanzielle Tragkraft der
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Dekorative Kunst. XV. 3. Dezember 1911
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