Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 26. Band.1912
Seite: 106
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_26_1912/0138
Gemeinde. Die Einäscherung zeigt den Ausweg
aus beiden Nöten. Die Beisetzung der Aschenreste
erfordert nur wenig Platz: der Raum,
den ein einzelnes Grab beansprucht, genügt, um
zehn, ja zwanzig Urnen über und unter der
Erde würdig zu bestatten. Die hygienische Unschädlichkeit
der Krematorien, Urnenhallen
und -Haine erlaubt, sie inmitten der Stadt, in
jedem Garten oder Park anzulegen. Den praktischen
Vorzügen aber reihen sich ästhetische
Werte an. Der langsame Zerfall des menschlichen
Körpers, der sich unter stärkster Beteiligung
pflanzlicher und tierischer Lebewesen
vollzieht, braucht kein empfindendes Herz mehr
zu schrecken. In der heißen Luft des Verbrennungsofens
genügt die kurze Zeitspanne
von einer Stunde, um das sterbliche Teil soweit
aufzulösen, daß nur ein kleines Häuflein
mürben Gebeins und grauer Asche übrig bleibt.
Und dieser reinliche Erdenrest mag dann, in einer
Urne geborgen, von der Pietät der Hinterbliebenen
gehütet, in einer Gruft oder unter dem
hellen Himmel dem Schicksale alles Irdischen
entgegenharren.

Für die architektonische Anlage, die das
zu der Verbrennung Nötige in sich begreift,
hat die deutsche Sprache keine Bezeichnung
geschaffen, sondern sich mit der Adaptierung
des lateinischen „Crematorium" begnügt. Die
neue Bestattungsart aber machte auch eine
Umbildung des Begräbniskultes notwendig.
Die sterbliche Hülle des Verschiedenen wird
nicht mehr dem Schoß der Erde übergeben,
sondern der verzehrenden Flamme, oder, um
technisch korrekt zu sein, der heißen Luft,
die in kurzer Zeit alle Gewebe zerstört und
nur an den stärksten Gebeinen einen geringen
Widerstand findet. Der letzte Abschied ist jetzt
in einen Raum verlegt, der Trauerhalle, Versammlungsraum
, Kapelle sein und dabei die
technischen Einrichtungen, die zum Versenken
des Sarges in die Flammengruft nötig sind,
mit der Würde des Ortes in Einklang bringen
muß. Eine Art Endosmose von Laboratorium
und Kirche — das ist das Wesen des Krematoriums
. Die fremdesten Zweckkomplexe
müssen hier durch die Kunst so verschmolzen
werden, daß ihr architektonisches Bild das
Gepräge einer, in sich geschlossenen und vollkommenen
Schöpfung trägt.

Seitdem im Jahre 1876 in Mailand das erste
Krematorium eröffnet worden ist, haben auch
eine Anzahl deutscher Städte dem neuen Gedanken
Aufnahme gewährt. Unter den vielen
Lösungen aber, die Architekten aller Grade
für die bauliche Aufgabe fanden, ist keine, die
nicht an der inneren Gegensätzlichkeit der
beiden Zwecke Schiffbruch gelitten hätte. Eine

Kapelle, deren Turm als Esse ausgebildet ist:
so präsentieren sich fast alle derartigen Anlagen
. Das stilistische Gewand der Kapelle wechselt
nach Mode und Geschmack: bei dem
Gothaer Krematorium, jahrzehntelang dem einzigen
in Deutschland, sind's klassizistische Formen
, bei dem Hamburger solche der Frührenaissance
, bei dem Leipziger romanische.
Der Rauchabzug ist entweder in einen Turm
gelegt, der z. B. in Hamburg einen wehrhaften
Zinnenkranz zeigt, oder er ist, wo man eine
Zentralanlage wählte, wie bei dem künstlerisch
sehr würdigen Krematorium in Dessau, einer
Schöpfungdes Berliners William Müller, oder
bei dem in Kristiania, das einer Dorfkirche
gleicht, irgendwo hinter dem Hauptbau schüchtern
verborgen. Peter Behrens geht in Hagen
dieser Schwierigkeit, seinem gesunden Sachsinn
gemäß, zwar nicht aus dem Wege, aber auch
ihm ist es nicht gelungen, diesen kirchlichen
Versammlungsraum mit dem Heiz- oder vielmehr
Brennwerk harmonisch auszugleichen.
In Stuttgart und Chemnitz, in Zittau und in
Aarau, in Genf und Lausanne — überall Anläufe
, nirgends ein volles Gelingen. Ist unsere
Architektur wirklich diesem Problem noch
nicht gewachsen?

Wer von der Stadt Dresden sich nach Osten,
elbaufwärts wendet und den großen Bogen,
den der Fluß nach Norden, dem Rand der
Hügelkette folgend, schlägt, mit einer Fahrt
durch das architektonische Einerlei der rasch
anwachsenden Striesener Vororte abschneidet,
der erreicht dicht hinter dem großen Tolkewitzer
Friedhof sein Ziel, den Kiefernwald, der
das Gelände des Krematoriums bildet. Ein
landschaftlich bevorzugterer Platz läßt sich
in der Nähe einer Großstadt kaum denken.
Während das Gebiet, das ungefähr die Gestalt
eines Trapezes von etwa 280 m Länge und
135 m Breite hat, mit der einen Schmalseite
an die Straße stößt, allen Verkehrsmöglichkeiten
nahe, öffnet es sich auf der andern
Seite nach den Elbwiesen, von wo der Blick
die sanftgeschwungenen Höhen des nördlichen
Ufers in weitem Bogen umfaßt. Diese ungewöhnlich
günstigen Verhältnisse in vollem Umfange
für sein Werk auszunutzen, konnte einem
Künstler wie Fritz Schumacher, dessen ästhetisches
Feingefühl sich schon an schwierigen
Aufgaben bewährt hat, nicht schwer fallen. Indem
er seinen Bau bis dicht an den nordöstlichen
Rand des Wäldchens rückte, schuf er
sich einen wirkungsvollen Zugang in der Achse
des Geländes, eine via funeralis von feierlicher
Schönheit. Haben wir die Straße verlassen und

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