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ADOLF HENGELER
HOHENASCHAU
wird sie sogar in erster Linie um ihretwillen
schätzen.) Wenn man bedenkt, wie spät
Hengeler zur Malerei überging und daß er
ganz aus sich selbst heraus zu den Resultaten
kam, die uns heute entzücken, dann erscheint
sein außergewöhnlicher koloristischer Geschmack
umso erstaunlicher. Man sieht, daß
alle diese Dinge, so sehr auch das Stoffliche
und das Motiv an sich gelockt haben mögen,
doch ganz aus der farbigen Erscheinung heraus
empfunden sind. Und sie sollen auch zunächst
wieder durch die Farbe, den Reiz des
schimmernden Kolorits, wirken und durch
dieses Medium erst auf den Inhalt des Bildes
hinweisen und zu ihm hinführen. Reine Landschaften
hat Hengeler viele gemalt; aber
eigentlich mehr für sich, zum Studium, In
seinen Bildern dagegen gibt er nicht realistisch
genau die Wirklichkeit, wie sie das normale
Auge sieht, sondern er bildet sich aus ihren
Elementen eine Natur, wie sie seine Phantasie
empfindet und die ebensoviel von der
Wirklichkeit wie von dem heiteren, sonnigen
Wesen Hengelers selbst hat. Und in dieser
Natur läßt er glückliche Geschöpfe ihr Dasein
und alles Schöne genießend sich ergehen:
Frauen in bauschigen Biedermeierkleidern,
deren Farben wie Juwelen leuchten, oder zeitlose
Geschöpfe in bunten Phantasiegewändern,
die wie Schmetterlingsflügel schillern und gerne
auch den Oberkörper frei lassen. Und fast
immer haben diese Paare, lustwandelnden
Mädchen und Akte oder gelegentliche Staffagefiguren
ä la Spitzweg geflügelte, putzige Putten
zur Seite, die Blumen pflücken, spielen, allerlei
Kurzweil treiben und an den Gefühlen
der Menschen, die sie begleiten, unmittelbaren
Anteil nehmen. Und sonderbar: wir empfinden
diese geflügelten Kinder gar nicht als etwas
Unmögliches und Naturwidriges, im Gegenteil
. Sie gehören zu diesen Landschaften,
zu den Bewohnern dieser seligen Gefilde wie
die Bäume und die Blumen und die Wolken,
die über sie hinziehen. Und man könnte
sagen, daß sie im Grunde nichts anderes wie
Symbole der freundlichen Naturkräfte sind,
oder Realisationen des Märchens, das sich dem
Auge des Poeten sichtbar enthüllt in der Gestalt
dieser anmutigen Kinderfigürchen. Sie
sind somit wohl etwas Wesentliches für Hengelers
Kunst, wenigstens soweit eine bestimmte
Kategorie von Bildern in Frage kommt. Aber
nicht in dem Sinne einer Spezialität, auf die
man ihn festlegen könnte. Der unterschätzte
Hengelers künstlerische Potenz gewaltig, der
diese Puttenmalerei als seiner Weisheit letzten
Schluß ansehen wollte. Hengelers Phantasie
ist vielmehr in allen Gegenden der unwirk-
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