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pathischer durch den künstlerischen Ernst und
die Wahrheit ihrer Darstellung. So weit auch
Herterich jener ersten Gruppe in seinem Denken
und Schaffen ferne steht, so kann er doch
nicht ohne weiteres der zweiten Gruppe der
impressionistischen Künstler zugezählt werden.
Diese neue Pietä ist hierfür vielleicht bezeichnender
als alle früheren Schöpfungen. Denn
der Gegenstand der Darstellung ist nicht das
Zufallsprodukt einer Laune, die aus den verschiedenen
, durch die Gruppierung sich ergebenden
Motiven sinnlich-reizvolle oder malerisch
-interessante Kombinationen zu gewinnen
oder mit dem Reichtum und der Mannigfaltigkeit
farbiger Beziehungen zu imponieren sucht.
Vielmehr ist Herterich der formal farbige Aufbau
des Bildes das Resultat eines streng disziplinierten
Denkens, das seinen Ausgangspunkt
von der geistigen Idee der Darstellung
nimmt, die die Besonderheit des Bildaufbaues
erst verständlich werden läßt. Herterichs Bild
ist deshalb modern im besten Sinne des Wortes
und ebenso frei von aller Theatralik wie von
allem nüchternen Rationalismus. Es soll keine
Grablegung mit einer Reihe kostümierter Figuren
sein. Das „Kostümliche" kommt überhaupt
nicht zu Worte und man hat keine Zeit,
sich mit Schneider- oder Modefragen zu beschäftigen
. Es sind zeitlose Gestalten, die da mit
der Feierlichkeit einer priesterlichen Opferhandlung
ihres Amtes walten, doch keine Schemen.
Gewiß wird sich mancher an den Härten und
kantigen Silhouetten der Figuren stoßen. Aber
es hieße Herterichs Schöpfungen gänzlich mißverstehen
, wollte man die steife Gewandung
der Vordergrundsfigur oder die eigentümliche
Starrheit der Gruppe überhaupt und die Simplizität
ihres Aufbaues tadeln. Denn hier, wo
alles in und durch das Ganze nur wirken soll,
darf keine Figur zu voller Lebendigkeit sich
entfalten oder durch irgendwelche interessante
Positionen und Bewegungen sich hervortun.
Herterich vermeidet es, das Tragen selbst umständlich
zu schildern und den dramatischen
Effekt durch die physische Belastung der einzelnen
Körper da und dort zu steigern. Die
Grablegung soll eben nicht dramatisierte Wirklichkeit
sondern formgewordene Idee und der
ganze Bildaufbau im musikalischen Sinn Abwandlung
eines alles bestimmenden und durchdringenden
Motives sein, das er aus dem Gedanken
an das scheidende Leben und den Tod
gewinnt. Das Motiv der Todesstarre wird auch
in die Gruppe der Lebenden verarbeitet, so
daß die fast kristallinische Gesetzlichkeit ihres
Aufbaues nur Erweiterung und Steigerung des
Motives des Christuskörpers ist. Mit den Figuren
, die in wortlosem Schmerz, eng aneinander
geschmiegt, das Haupt Christi umrahmen
, verdichten sich die Motive zu einem
festgeschlossenen Knäuel, der sich nach oben
im Kreuz, nach unten im Sarkophag und der
sich niederbeugenden Figur in monumentale,
streng silhouettierte Massen auflöst. Durch
ihre Einordnung in das zusammenfassende
geometrische Motiv des Rahmens wird auch
der stille Rest des Lebens in die starre Majestät
des großen Gesetzes hinübergeleitet, das
als beherrschende Schicksalsmacht in schweigender
Größe aus der stummen Klage die
stolze Ruhe und den milden versöhnenden
Frieden der Ewigkeit erwachsen läßt, ohne
Pathos, ohne eine einzige Geste, still in einer
gebundenen Kraft, die weniger im Tun als
bescheiden und groß im schlichten Dasein, in
der besonderen Form ihrer sinnlichen Existenz
sich äußert. Deshalb kommt auch das Stoffliche
wie etwa in dem herabhängenden Tuch
am Kreuz so wenig zu Wort, ist auch dieses
nur Motiv, das die schwere Masse des Himmels
in das der Gruppe hereinbaut, daher die
hölzerne Silhouette der Figuren des Vordergrundes
, die in dem Knick der Gewandung das
Motiv des herabhängenden Armes Christi wiederholt
und die Silhouetten des Oberkörpers in
die strengen Vertikalen der abschließenden
Kreuzespartie überleitet, ähnlich wie die Figur
hinter Maria gemeinsam mit der ganz rechts in
die Horizontalpartien des Sarkophages. Wieder
Leichnam seine Starrheit auf die Gruppe, so
überträgt diese doch wieder auf ihn die sanfte
Lebendigkeit ihrer Bewegung, vereint mit ihr
werden die Arme des Toten doch zur Geste,
die von der Todesmüdigkeit des Helden und
erlösendem Frieden erzählt. Die steife, knochige
Hand, die im matten Licht von dem nächtigen
Hintergrund aus der Gruppe so seltsam herauswächst
, wird doch zum müden Abschiedsgruß
des gütigen Mannes, der den Segen des
Himmels auf Freunde und Feinde leise niederruft
. Das Licht begleitet den Grundgedanken
des formalen Aufbaues. Zeitlos, männlich hart
und doch nicht brutal, ist es überall farbig
und doch nie Farbe für sich. In rhythmischem,
durch die Situation bedingtem Wechsel wiederholt
die Farbe im musikalischen Sinn das
Farbenmotiv Gelb und Blau (warm und kalt),
das nur vorne in der knienden Figur in
stärkerer Materialität erscheint, um das von
der Marienfigur ausstrahlende Silberlicht in
seiner ganzen Stärke zur Entfaltung zu bringen.
Wohl spielt das komplementäre Farbproblem
der impressionistischen Richtung eine fundamentale
Rolle. Aber Herterich kommt es besonders
in dem Münchener Bilde nicht auf
eine rationalistische Schilderung der Atmo-
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