Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 29. Band.1914
Seite: 190
(PDF, 175 MB)
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Varia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Public Domain Mark 1.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_29_1914/0239
sische Kanon ist besser befolgt. Die ruhige
Sachlichkeit ist die beste Eigenschaft der aus
etwas zu kühlem Herzen erfundenen Komposition
. Von den übrigen ist Wilhelm Gerstel
diesmal mit einer größeren Zahl von Arbeiten
vertreten (Abb. S. 179). Von Haller ist die
Holzfigur eines stehenden Mädchens zu erwähnen
(Abb. S. 188). Und reizend ist die
Terracottafigur eines nackten Mädchens von
Ernesto de fiori, die in amüsanter Drehung
bewegt ist. Man möchte wünschen, daß die
Nase weniger witzig zugespitzt wäre, denn
die Formengebung zeugt im übrigen von
einem sehr ernsten plastischen Gefühl (Abb.
S. 192).

Auf dieser Linie hätte man weiter suchen
sollen und manches finden können, das noch
zu zeigen gelohnt hätte, wollte man auch in
der plastischen Abteilung „ringenden Talenten
Gelegenheit zur Oeffentlichkeit in weitgehendem
Maße geben" und zum Schlüsse sagen
können: „Das Programm ist erfüllt."

GEORG KOLBES HEINEDENKMAL IN
FRANKFURT AM MAIN

Am 13. Dezember ist in Frankfurt am Main das erste
Heinedenkmal in Deutschland enthüllt worden.
Georg Kolbe, der unter den Berliner Plastikern in
vorderster Reihe steht, ist sein Schöpfer, die Stadt
Frankfurt hat in den Friedberger Anlagen den Platz
dafür hergegeben, aus privaten Sammlungen sind
die Mittel zusammengekommen. Was Kolbe geschaffen
hat, ist nicht das konventionelle Standbild;
das Bildnis des Dichters beherrscht nicht die Darstellung
, es ist nur in verhältnismäßig kleinen Abmessungen
in Steinrelief an der Vorderseite des
aus Muschelkalkstein hergestellten Sockels angebracht
; und auch die Gruppe, die den Sockel krönt,
ist kein striktes Symbol des dichterischen Schaffens
Heines. Und doch spricht der Geist des Dichters
des Buches der Lieder aus diesem Werk, und die
Umgebung erhöht den hohen lyrischen Reiz dieser
Schöpfung des erfindungsreichen Meisters. Prachtvoll
ist die Figur des dahinschreitenden Jünglings,
sie ist mit einem Gefühl für Form und Bewegung
geschaffen, über das Kolbe wie nur wenige verfügt
und das uns seine Werke so bewundernswert macht.
Auch das halb liegende, halb sitzende Mädchen, das
den Liedern des Dichters zu lauschen scheint, ist
vorzüglich modelliert; Kolbe zeigt hier seine
Meisterschaft noch auf einem anderen Gebiet: dem
Festhalten seelischen Ausdruckes.

So darf man dieses Denkmal den besten Arbeiten
Kolbes an die Seite stellen und der Stadt Frankfurt
zu dieser künstlerischen Bereicherung Glück
wünschen. Sie wird übrigens nicht mehr lange
die einzige sein, die ein Heinedenkmal besitzt,
denn im Frühjahr soll in Hamburg das Hugo
Lederer übertragene Heinedenkmal erstehen.

NEUE KUNSTLITERATUR

Schmid-Reutte, Ludwig (1863—1909).
32 Wiedergaben von Zeichnungen und Gemälden

des Meisters. Mit Geleitwort von C. F. Schmitt-
Spahn und einem Nachruf von Hans Thoma. In
Mappe 25 M. Stuttgart, Verlag von J. Engelhorns
Nachf.

Die Sammlung und Herausgabe einer größeren
Anzahl von S ch m i d-Reutte-Werken war mehr
als eine Ehrenpflicht gegenüber einem so hervorragend
begabten und eigenartigen Künstler, wie
er einer war; es war eine Notwendigkeit, wenn
sein fast unzugängliches, nur in weit zerstreutem
Privatbesitz befindliches Lebenswerk weiterhin nicht
unbekannt bleiben sollte. Auch der außerordentliche
Einfluß, den Schmid-Reutte auf die Karlsruher
Kunstjünger während seiner nicht einmal zehnjährigen
Lehrzeit gewonnen hat, wäre nicht so
deutlich erkennbar geworden. Der Verlag Engelhorn
hat sich ein namhaftes Verdienst erworben,
daß er in den 32 Tafeln der Schmid-Reutte-Mappe
die Grundlagen des Schaffens dieser prominenten
Künstlerpersönlichkeit weiteren Kreisen zugänglich
gemacht hat. Hans Thoma weist in
seinem einleitenden „Nachruf" mit der ihm eigenen
Klarheit darauf hin, worin das Geheimnis der
starken Wirkung dieses hervorragenden Kunstlehrers
lag: in der Erkenntnis der der Kunst notwendigen
Form, die ,.sich kristallscharf aus dem
Raum herausschneidet" und „in der Mitteilung
dessen, dem sein eigenes Ringen galt". Schmitt-
Spahn, sein Schüler, hat im „Geleitwort" den kurzen
biographischen Notizen, sowie dem künstlerischen
Wesen und der Lehrtätigkeit Schmid-Reuttes
feine und bedenksame Worte geliehen. Man darf
beiden aufrichtig dankbar sein für die Einführung.
Schmid-Reutte aber hat in den Werken, die trefflich
reproduziert und vornehm dargeboten sind, sein
literarisches und künstlerisches Denkmal selbst geschaffen
. Die konstruktive Größe und Wucht seiner
Akte, die unvergleichliche Gewalt seiner Gruppenkompositionen
sind machtvolle Dokumente des
größten eigenartigen Formwillens und Formbewußtseins
in unserer Zeit der zerfließenden malerischen
Kultur. Man könnte an Michelangelos übermenschliche
Formauffassungen denken, wenn Schmid-Reutte
nicht noch sparsamer, sachlicher und knapper in
der Architektur seiner Akte und Gruppen wäre.
Wenn Schmid-Reuttes Werk im Farbigen und in der
formalen Zuendebildung vielfach auch nur Torso
blieb, so ist es doch ein Torso, der in den gewaltigen
Dimensionen das Größte und Vollkommenste
ahnen läßt. Sein Werk ist auch im Fragment über
das nur Künstlerische ins Ethische gewachsen, denn
es hat in notvoller Zeit ein höchstes künstlerisches
Gut bewahrt: die große, reine und echte Form, wie
sie nur ein originales und selbständiges Genie erkennt
. Es ist selbstverständlich, daß ein so dämonischer
und persönlicher Formwille alle anderen
künstlerischen Elemente in seinen Dienst stellt:
Farbencharakter und Farbentechnik. Die Tafeln
verraten auch davon einiges, und die Originale
(Karlsruher, Mannheimer und Stuttgarter Galerie)
zeigen, wie stark das Farbige und sein Auftrag
stilistisch sich den Form- und Kompositionsproblemen
unterordnet.

Die Schmid-Reutte-Mappe ermöglicht nun, dem
Lebenswerk des vorzeitig der Kunst Entrissenen
nachzugehen. Als ein Unzeitgemäßer stand Schmid-
Reutte in der Epoche seiner Kunst. Sein Formproblem
ist das Problem der Kunst nicht nur von
ehedem, sondern noch mehr von morgen. Kein
Künstler, keine Kunstbetrachtung kann achtlos an
dem Monument dieser Kunst vorübergehen, ohne
sich selbst zu entwerten. dr. Beringer

190


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_29_1914/0239