Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 33. Band.1916
Seite: 148
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_33_1916/0188
MAX KLINGERS STUDIEN

Die Zeichnung als Vorbereitung der Malerei
entspringt der Notwendigkeit des Studiums
." Also sagt Max Klinger in seiner
Schrift „Malerei und Zeichnung", die vor mehr
als20Jahren erschien und berechtigtes Aufsehen
erregte. Und weiter lesen wir in dieser Schrift:
„Der Kern und Mittelpunkt aller Kunst, an
den sich alle Beziehungen knüpfen, von dem
sich die Künste in der weitesten Entwickelung
loslösen, bleibt der Mensch und der menschliche
Körper. Allein die Darstellung des menschlichen
Körpers kann die Grundlage einer gesunden
Stilbildung geben. . . . Das Studium
und die Darstellung des Nackten sind das A
und das Q jeden Stils ... Es kann für jeden,
der der höchsten Aufgabe der Kunst, den
menschlichen Körper zu bilden, aufrichtig
gegenübertritt, keine Frage sein, daß der ganze
unverhüllte Körper ohne Lappen, ohne Fetzen
die wichtigste Vorbedingung einer künstlerischen
Körperentwickelung ist."

An diese Sätze aus der Schrift, in der Max
Klinger mit so viel Temperament, Kenntnis und
Scharfsinn seine Kunstauffassung darlegt und
verteidigt, wurden wir lebhaft erinnert, als
wir das neue Werk durchblätterten, das der
Künstler soeben im Verlag der Galerie Ernst
Arnold veröffentlicht hat: Zwanzig Zeichnungen
zu Bildern, Plastiken und Stichen in mehrfarbiger
originalgetreuer Wiedergabe. Der Satz von der
Notwendigkeit des Studiums ist für Klinger keine
hergebrachte leere Redensart. Er hat die Natur,
den menschlichen Körper, stets mit Eifer, ja
mit wahrer Inbrunst studiert und kennt ihn
in- und auswendig. Jedes seiner großen Werke,
die Gemälde wie die Skulpturen, ist durch
Studien und Zeichnungen auf das sorgfältigste
vorbereitet, und was das für Zeichnungen sind,
was für wahrhaft bewunderungswürdige Kunstwerke
sich in diesen Studien verbergen, die
doch nur Mittel zum Zweck sein sollen, das
ersieht man aus diesen zwanzig Zeichnungen,
die an Kunst der Wiedergabe wohl das Höchste
darstellen, was die vervielfältigende Technik
je geleistet hat. Nicht bloß Laien und Kunstfreunde
, sondern der Meister selbst ist schon
gelegentlich getäuscht worden, indem er die
Nachbildung für die Urzeichnung hielt. Der
Künstler hat selbst die Herstellung jedes der
zwanzig Blätter in Licht- und Steindruck überwacht
und nicht geruht, bis alles und jedes
bis auf die kleinste Kleinigkeit vollendet war.
Ein wahrer Triumph der nachbildenden Kunst!

Wir tun hier einen Blick in die Werkstatt
des Künstlers. Die großen bekannten Werke
Max Klingers werden vor unseren Augen auf

ihren Vorstufen lebendig, und auch Vorstudien
zu noch unvollendeten Werken treten uns entgegen
. Da sehen wir z. B. die Studie zum
Homer für das große Wandgemälde in der Aula
der Universität zu Leipzig, dann vier Studien
zu den Wandgemälden im Treppenhause des
Leipziger Museums, die leider auf der Stufe
von Entwürfen stehengeblieben sind, männliche
Rückenakte zum Kampf in der Brahmsphanta-
sie, weibliche Akte zu einer Zimmerdekoration,
zu einem Meerfries, zu einer marmornen Ge-
wandfigur usw. Eine prächtige Beleuchtungsstudie
erinnert uns an den Klingerschen Satz:
„Ein ruhender menschlicher Körper, an dem
das Licht in irgendeinem Sinne hingleitet und
keinerlei Gemütsbewegung ausgedrückt sein
soll, ist — vollendet gemalt — schon ein Bild."
Ja — auch schon, wenn er so vollendet gezeichnet
ist, wie dieser. Und bei den prachtvollen
Gewandstudien wird uns die Wahrheit
von Klingers Satz offenbar, daß über allem Sichtbaren
der Zauber individuellen Lebens ruhe.
Soweit sind sie entfernt von jedem Schema
„klassischen" Faltenwurfes, so reizvoll sind sie
in dem zufälligen und doch durchaus begründeten
Fall des sich anschmiegenden und verdrückenden
Stoffes.

Kurzum — der Kenner findet in diesen Blättern
immer neuen Anlaß zum künstlerischen
Genießen nach verschiedenen Seiten. Noch sei
bemerkt, daß der Künstler jedes einzelne Blatt
handschriftlich als zu dem Werke Studien gehörig
bezeichnet hat, daß ferner das Titelblatt
eine Originalradierung aufweist, darstellend
ein Weib in blühender Jugendschönheit am
Meeresstrand, das sich selbst bewundernd betrachtet
. Der Vorzugsausgabe aber — Nr. 1—50
zu 500 M. — wird auch noch eine Originalradierung
„Meereszug" beigegeben, die ausschließlich
für diese gedruckt und sonst nicht
im Handel zu haben ist. Die zauberische Anziehungskraft
des Meeres ist hier symbolisch
dargestellt durch ein prangendes Weib, das
im Vordergrund über die Wogen dahinschreitet,
während dahinter über eine langhinziehende
Meereswelle eine Reihe Männer voll Staunen
und Sehnsucht auf das unerreichbare Meereswunder
hinschauen. Eine ganz eigenartige
Vision tritt uns in diesem Blatte entgegen,
ein echter Klinger! Ist im übrigen das neue
Werk Max Klingers ganz anderer Art, als was
er uns in seinen Folgen von Radierungen bisher
geboten hat, so ist es doch in seiner Art so
vollendet, daß es sicherlich bei allen Freunden
des Künstlers vollen Anklang finden wird.

Paul Schumann

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