Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 35. Band.1917
Seite: 177
(PDF, 137 MB)
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und Amerika ihm mehr als bloß fremd waren,
kann kein Zweifel sein.

Köstlich ist nun, wie Fleiner die alte
Freundschaft mit einem ausgedienten, genauer
wohl: internierten Seeräuber schildert, der in
San Terenzo im Golf von Spezia residierte und
seine Uebeltaten hie und da mit dem Grundsatze
„Geschäft ist Geschäft" entschuldigte.

Der Mann hat existiert und bei den Erfahrungen
, die der Künstler mit sogenannter guter
Gesellschaft gemacht hat, ist es sehr leicht
möglich, daß er für den verwegenen Führer
seines Bootes auf den Wellen des Meeres
wirklich eine gewisse Zuneigung gehabt hat.
Hier einige Abschnitte dieser Schilderung.
Das Kapitel trägt den Titel: „In San Terenzo".
Zur Erklärung schicken wir folgendes voraus:

Die Bucht von Spezia erinnert in ihrem
inneren Teile, wo die Hafenstadt, die ihr den
Namen gegeben, liegt, etwas an das Ende
eines der Seen am Süd- oder Nordrande der
Alpen, nur daß die umgebenden Gebirge etwas
niedriger sind. Die Größenverhältnisse sind
auch ähnliche. Weiter gegen das Meer zu,
in der Luftlinie nicht über eine Stunde von
Spezia entfernt, wird aber die Szenerie anders
und es beginnen die Gestade mit den ganz
unglaublich malerischen Ansichten, die Böck-
lin in frühen und späten Jahren angeregt haben;
auf der rechten Seite ist das Herrlichste die
Meerenge zwischen dem Felsenneste und dem
Vorgebirge von Porto Venere und der vorgelagerten
Insel Palmaria, namentlich auch
der Ausblick vom Vorgebirge auf die ligurische
Küste gegen Genua hin, auf der linken (östlichen
Seite) aber die halbkreisförmige von zwei
alten Kastellen bewachte Nebenbucht, in der
San Terenzo und weiter gegen das Meer zu
Lerici liegt. Fleiner besuchte erst Porto Venere
, ein Ausflug, der mit dem Dampfboot in
einem Nachmittage zu machen ist, später San
Terenzo, das schief gegenüber liegt. Bei der
Fahrt mit dem Wagen von Spezia aus hat man
Lerici gerade vor sich, wenn die Straße nach
dem näheren San Terenzo hinuntersteigt:

„An der jenseitigen (nordwestlichen) Seite
des Felsenvorsprungs (von Porto Venere),
auf dem der Venustempel stand, befindet sich
eine große Höhle, deren Eingang von dem
strudelnden Wasser der Brandung bespült
wird. Sie trägt heute noch den Namen der
Byron-Grotte. Denn hier hat der Dichter des
Don Juan und des Childe Harold mit Vorliebe
einsam geweilt......

„Hier hat auch Böcklin Stunden und Tage
lang gesessen und im Anblick des rauschenden
Meeres seinen geliebten Homer oder Ariost
gelesen; hier hat er geschaut und immer wieder

geschaut, und den Gischt der Brandung, die
Farbenerscheinungen des Meeres, der Felsen
und der Haine so tief in sich aufgenommen,
bis sich die beobachtete Natur in ihm zu den
Visionen verdichtete, die wir aus seinen Bildern
kennen ....

„Zu Böcklin zog es mich hin, und sobald
mein klappriges Gebein, mein vom amerikanischen
Typhus in seinen Fugen aufgelöstes
Gestell widerstandsfähig genug war, fuhr ich
auf bequemer Heerstraße, einer strategischen
Straße, im Wagen nach Lerici und San Terenzo,
wo nach einer von Freundesseite mir gewordenen
Meldung Böcklin weilte.

„Er selbst hatte mir einmal früher erzählt,
daß er ein kleines Nest kenne, wo ,ein wunderschöner
Seeräuber' wohne, bei dem er als
junger Maler zu Gast gewesen sei. Und dieser
alte Seeräuber gefiel ihm so gut, daß er ihn
oft mit seiner Familie aufsuchte. ,Etwas Herzstärkendes
, so ein ehrlicher Seeräuber' —
Böcklin nämlich hatte zu viel von unehrlichen
Seeräubern gelitten. — ,Ein Mensch, der sagt,
was er ist'......

„Als ich über den breiten Bergrücken durch
duftende Olivenwälder nach Lerici hinunterkam
, stieg vor mir leibhaftig wie eine Vision
die von Seeräubern Überfallene Burg Böcklins
auf, die er zum zweitenmal in Zürich gemalt
hatte und vor deren Leinwand wir manchmal
berieten, was sich etwa noch anbringen oder
wegbringen ließ. Böcklin nämlich schien mich
damals als das naive Publikum zu betrachten,
auf dessen Urteil der unbefangen schaffende
Künstler einiges zu geben hat.....

„Ich hatte eigentlich die Absicht, Böcklin
eine Ueberraschung zu machen, aber, wie es
gewöhnlich bei Ueberraschungen zu gehen
pflegt: ich war der Ueberraschte, der Vogel
war eben erst ausgeflogen ....

„Der alte Seeräuber führte mich durch dunkle
Stiegen in sein Haus hinauf, das meine Gattin
nur mit einiger Scheu betrat. Er beeilte sich,
mir ein Glas vom besten Chiantiwein vorzusetzen
, von dem er behauptete, daß ich es
trinken müsse, wenn ich ein Freund des
,großen Professore' sei, auf das Wohl des
,großen Professore'. Der kleine untersetzte
Mann mit dem Hinkfuß sprach derart, daß ich
nicht im Zweifel sein konnte, hier den echten
,Seeräuber' Böcklins vor mir zu haben, von
dem mir der Meister berichtet hatte, daß er
jede schöngeistige Gesellschaft hingebe um
diesen einen schönen Strandräuber und Seeräuber
, für den Böcklin — um mich in gebildetem
Deutsch auszusprechen — eine wirkliche
innere Anteilnahme hatte.

„Mißtrauisch, wie die Leute an dieser vielge-

Die Kunst für Alle XXXII.

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