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solcher Art, die wir in Deutschland kennen.
Er hatte ein sehr entwickeltes Gefühl für die
kunstgewerblichen Reize dieses Materials und
für die launig spielerische Art, mit der man
es zu behandeln hat. Er hat, in der richtigen
Erkenntnis, daß unsere moderne nüchterne
Gewandung für Gestalten in Porzellan ungeeignet
ist, nur kostümierte Figuren modelliert.
Da sind ein Jäger und eine Jägerin, seine
ersten, schon ganz köstlichen plastischen Versuche
, zwei reizende Gestalten in Kostümen
des 18. Jahrhunderts, der Herr von einem
rundlichen, lustigen Embonpoint, ein paar
kokette Schönheitspflästerchen im Antlitz, die
Dame schlank und biegsam, die Flinte im
Arm, mit einem hübschen, erstaunten Gesichtchen
. Diese heiter kolorierten Figuren sind
aus den Schwarzburger
Werkstätten hervorgegangen
, ebenso
eine schlanke Muse,
unkoloriert, eine Gestalt
von leise ironisch
klassizistischer
Haltung, ganz lyrisch
empfunden, beseelt
vonPoesie,eine Leier
in den schlanken
Händen.
Seine schönsten
Porzellane sind die,
welche er für die alte
Meißener Manufaktur
entworfen hat. Es
sind Gruppen von
Tänzern und Tänzerinnen
, zu denen ihn
die Darbietungen des
russischen Balletts
angeregt haben. Diese
Figuren, in heiteren
F arben voll Anmut
koloriert, sind
von einer Keckheit
und Sicherheit des
Rhyt hmus, die den
angehenden Meister
verraten. Sie zeigeneine
erstaunliche
Freiheit der Modellierung
, sie sind ganz
unbeengt in der Bewegung
, man hat das
Gefühl lieblichster
Natürlichkeit und zugleich
einer souverän
entfalteten Laune.
Da ist ein Tänzer im P. scheurich
Biedermeierrock und großkarierter Hose, der
mit einer schmachtenden Geste, halb in die
Knie gesunken, sich einer schönen Tänzerin
zuwendet; er hebt die eine Hand zum Liebes-
schwur und legt die andere beteuernd aufs
Herz, und seine ganze, hingerissene Bewegung
hat einen so kühnen und bestechend rhythmisierten
Schwung, daß sie dem Gedächtnis
kaum wieder verloren gehen kann. Da ist ein
blasser Pierrot, leidenschaftlich, mit emporgerecktem
Gesicht, vor einer Tänzerin kniend,
die sich nicht um ihn kümmert. Da ist ein
Harlekin, in prall ansitzendem, buntgewürfeltem
Beinkleid, der sich mit drollig übertriebener
Keckheit an eine Ballerina schmiegt,
um einen Kuß von ihren Lippen zu pflücken,
den sie mit Vergnügen gewährt. Und diese
Tänzerinnen! Sie tragen
geblümte, krino-
linenartige Ballett-
röckchen,viele Stockwerke
von duftigen
Frisuren übereinander
, unten lugen Höschen
hervor, sie tragen
das Haar in Lokken
über die Ohren
herab, und auf den
weißen Hälsen liegen
alte kleine Medaillons
. Sie sind fein-
gliedrig und lächeln,
und ihre Bewegungen
sind eine Mischung
von Kaprice
und Uebermut.
Scheurich hat in
seinen Tänzern und
Tänzerinnen dem
Porzellan mit einer
von äußerst glücklichen
Instinkten geleiteten
Hand die intimsten
Reize abgewonnen
, die dieses
subtile Material hergibt
. Das Handwerkliche
ist spielend
überwunden. Diese
Tänzer und Tänzerinnen
werden bestehen
bleiben, auch
wenn Scheurichs
Name vergessen sein
wird. Diese bunten,
heiteren Figuren sind
unbedingt die schön-
kleiner weiblicher akt sten> graziösesten
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