http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_35_1917/0450
FRITZ BURGER
DAS BLASSE MÄDCHEN
Kulturmensch nur sehr schwer vermissen
mag. Das Telephon sichert die Verbindung
mit der Weltstadt, in der Burger sich ein
Atelier aufschlug; in Friedenszeiten gab es
sogar auch eine Omnibusverbindung nach der
Vorortbahn; doch ob diese da ist oder nicht,
spielt keine große Rolle: die Hauptsache ist
das dem Trubel entrückte eigene Heim und
der ungehinderte Blick in eine, wenn auch
bescheidene Landschaft, wo zwar keine Almglocken
läuten noch Bergeshöhen winken, wo
aber immerhin die Ebene mit Seen und Fichtenwaldungen
lockt. Dieses haben, und Berlin
dazu, ist wahrlich nicht wenig, zumal wenn
damit die höchste Kostbarkeit verbunden ist,
die es für ein Künstlerleben geben kann: die
individuelle Freiheit. So hat also dieser praktischkluge
Schweizer die nordische Weltstadt seinen
persönlichen Bedürfnissen anzupassen verstanden
und, da ihn kein exaltierter Ehrgeiz
bewegt, so führt er als Künstler gewiß eine
Existenz, um die viele ihn beneiden mögen.
Bei seiner Uebersiedelung nach Berlin
, vor elf bis zwölf Jahren, kam
Fritz Burger gleichsam als ein Sendbote
seines Pariser Freundes Blanche.
Von dessen weichem, duftigem Strich,
von dessen auf ein elegantes Grau
getönter Farbenharmonie, von dessen
konniventer Art, die Menschen anzuschauen
, hatte der Jünger manches angenommen
und nach allem, was man
vernimmt, hat er die Gunst seiner
Auftraggeber damit besessen. Es hätte
also äußerlich genommen, nicht der
mindeste Grund vorgelegen, einen
Wechsel der Manier eintreten zu lassen
. Doch es lag etwas in der Luft,
das man als Neuorientierung aussprechen
durfte und in das der an sich
recht noble Blanche und was sonst
an der gleichen Leine zog, nicht mehr
recht hineinpassen wollte. Menschen
und Dinge sollten jetzt frischer gesehen
werden, nicht in abendlicher
Müdigkeit, sondern wie von Morgenlüften
umspielt. Und rings erwachten
die Farben und traten ins helle Licht;
sie krochen gleichsam aus ihren Kapseln
und flössen in die offene Welt.
Und auch die Umrisse sprangen fester
hervor, wollten nicht mehr im Dämmer
zerfließen, sondern frei sich bekennen.
Die Natur, von der neuerwachten
Sehnsucht nach Stil zielbewußter eingefangen
, sah sich auf ihrem Alleinherrscherthrone
bedroht und rhythmischen Gesetzen
Untertan gemacht, denen sie sich anzuschmiegen
hatte. Das alles wollte seit einiger
Zeit hinauf, kam höher und höher, nahm die
Gewalt einer Unvermeidlichkeit an und zog
immer mehr Talente, die noch die Fähigkeit
hatten, sich einzustellen, in seine Bahnen.
Man spreche nicht von Mode oder Nachäfferei
. Natürlich, das gibt es; gibt es allzu
oft. Aber eine Bewegung wie die genannte
hat doch auch eine geistige Seite, hat in sich
eine historische Sendung, die nach Erfüllung
ringt; hat eine Fähigkeit zur Kraftentfesselung,
die man als fruchtbringendes Moment bezeichnen
muß. Jedenfalls lag hier eine Notwendigkeit
vor, die so oder so sich durchsetzen
mußte. Und das wird Fritz Burger, als er
sich der neuen Strömung anschloß, gewußt
oder doch innerlich gespürt haben: sonst hätte
er sich, bei schon vorgerückten Jahren, ganz
gewiß der schwierigen Aufgabe nicht unterzogen
, die Malerei sozusagen von Grund auf
noch einmal zu lernen. Denn um dieses handelte
es sich; um nicht weniger. Ganz neu-
398
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_35_1917/0450