http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_35_1917/0483
RUDOLF GROSSMANN
Aasstellung der Münchner Neuen Secession
AUF DER VERANDA
um jeden Preis ein genau umgrenztes künstlerisches
Programm verwirklichen wollen, auch
nicht einige durch Gemeinsamkeit der Kunst-
und Weltanschauung verbundene Gesinnungsgenossen
und Arbeitsgemeinschaftler, wie es
die römischen Nazarener, die Barbizoner, die
Präraffaeliten waren, sondern hier ist eine Schar
von Künstlern zusammengetreten, die auf neuen
Wegen neue Möglichkeiten des künstlerischen
Ausdrucks suchen, aber bei diesem Suchen
sehr verschiedene neue Wege einschlagen und
demzufolge auch sehr verschiedene neue Möglichkeiten
der Lösung erkennen. So reicht
die Skala des künstlerischen Ausdrucks von
den gewollt-naiven planimetrischen Experimenten
Paul Klees und den trocken-primitiven
architektonischen Konstruktionen Alexander
Kanolds bis zu dem blühenden Koloris-
mus eines Julius Heß und dem im besten
Sinn expressionistischen Temperamentsausbruch
Karl Caspars, ja bis zu der idyllischen
Poesiehaftigkeit Rudolf Siecks. Auf diesem Weg
gibt es viele Stationen zu passieren: nicht alle
sind erfreulich und nicht überall wird man
überzeugt, wenn auch oft in erstaunlicher künstlerischer
und pseudokünstlerischer Beredsamkeit
mit Formen und Farben auf einen eingeredet
wird. Zuweilen hat man auch den
Eindruck, daß billiges, geschmäcklerisches Mit-
läufertum am Werke sei, oft wieder will es
einem scheinen, daß die Lust, das gute Alte
zu zerstören, Formen einzureißen und geheiligte
Gesetze zu zertrümmern, stärker sei als
das Vermögen, zwingendes Neues an seine
Stelle zu setzen. Das sind unerquickliche Erscheinungen
, indessen dürfen sie niemanden
verdrießen im Hinblick auf das Ganze: sie
sind die Begleiterinnen jeglicher neuen Bewegung
, sie schleifen sich allmählich ab und
werden mit Naturnotwendigkeit dereinst von
Die Kunst für Alle XXXIL
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