http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_38_1918/0192
decken will. Das Baumaterial gibt sich so,
wie es ist, die Gegenwirkung der horizontalen
Stockwerksschichtungen und der durch
scharf geschnittene Erker gehobenen Vertikalen
der Fensterstreifen sowie die strengen Verhältnisse
der Profilbildungen, die auf der Vervielfachung
eines wiederkehrenden Maßes beruhen
, und der vermauerten zu den durchlichteten
Wandflächen besorgen die rhythmische
Ordnung. Der gleiche Geist wirkt
im Innern, Luft, Licht und klare Räumlichkeit
sind überall, verdächtiges Schnörkelwerk
und ratlose Verwinkelung nirgends.
Für die Stadtvilla hat er schon zwei wesentlich
unterschiedene Formen gegeben. Die eine,
typische, für Herrn Jedermann — z. B. in
jenem Haus auf dem Grinzinger Hügel. Die
andere für einen besonders gearteten Bauherrn
. Von diesem Schlage ist das Dichterhaus
im Kaasgraben. Man wird mit seinem
Aeußern auch dann nicht übereinkommen,
wenn man auf den unfertigen Zustand der
Baustelle, die den Anschluß von Nachbarhäusern
verlangt, Bedacht nimmt. Aber drinnen
ist es ein Heim und das in dem reichen
Sinne, daß jeder Teil der Familie, jede Gelegenheit
und jede Stunde ihre räumliche
Beruhigung und Sammlung finden kann. Mit
der Raumbewegung und den Ausblicken ver-
schwistert sich die Landschaft, und oben hat der
Hausherr eine feine Stube, die an dem mittätig
sein muß, was er nach seiner Art beginnt.
Weiter draußen, inmitten einer einsamen
Bergwelt, steht das neue Schlößchen von Raach.
Ein Herrenhaus, das über das Land ringsum
schaltet und das doch großstädtischem Wesen
zugehört. Die Mitte zu finden, kann nicht
leicht gewesen sein. Das Barocke mußte sich
dem Geometrischen fügen, das Ländlich-Freizügige
sich den strengeren Griff des Selbstbeherrschten
gefallen lassen. Die einfachen
Bauformen, die Körper und Glieder groß zusammenführen
, werden durch Farbigkeit erleichtert
. Draußen das warme Gelbbraun im
Schwarzgrün des Nadelwaldes, drinnen —
ebenso ungebrochen — das Braunrot geprägter
Ziegel, das Blau des Speisesaales, das Lichtgrau
des Schlafzimmers. Jeder Raum ist eine
stattliche Besonderheit, aber alle sind auch
gegeneinander abgewägt und miteinander —
in steigender und fallender Ordnung — verbunden
. Das Festliche setzt nicht aus, aber
es bleibt heiter, ohne steifen Zwang, dem
Ländlichen nahe, ohne sich ihm hinzugeben.
Schon hier gab Strnad den Beweis eines
bedeutenden innenräumlichen Vermögens, das
sich auch auf eingerichtete Wohnungen erstreckt
und den vorläufig reifsten Teil seines
Werkes enthält. Diese Wohnungskunst kann
alles. Sie genügt ebensosehr der auftraggebenden
Sondernatur wie dem Durchschnittsmenschen
, dem Vornehmen sowohl wie dem
Bürgerlichen, den hergebrachten Zwecken so
gut wie noch niemals vorher gelösten Aufgaben
, die sie mit besonderer Vorliebe aufsucht
, weniger um sich daran zu erproben,
als um das Gebiet des Innenraumes grundlegend
zu erweitern. Denn neuartig wird hier
auch das durchschnittliche Bedürfnis, der
bürgerliche Anspruch und die hergebrachte
Bestimmung aufgefaßt, das Gewöhnliche wie
das Außergewöhnliche zunächst auf die nämliche
Basis seiner lebendigen Forderung gebracht
und dann energisch — entweder bloß
ordentlich oder aber mit selbständiger Bedeutung
— durchgeführt. Es würde zu weit gehen
und wäre auch angesichts der deutlichen
Sprache unserer Beispiele müßig, die Wohnungsbilder
einzeln mit Worten zu begleiten.
Man ist niemals im Zweifel, ob man eine
Eigen- oder eine Miet-, eine Herren- oder
eine Mittelstandswohnung vor sich hat, und
jeder Raum läßt seine Bestimmung unmittelbar
wahrnehmen. Nur auf eine Art von
Zimmern sei hier mit Nachdruck hingewiesen;
sie gibt sich durch ihre Weiträumigkeit, die
bewegtere Gliederung und den mannigfältigeren
Hausrat ohnedies unschwer zu erkennen. Es
ist die Wohnstube. Wenn der Wiener Innenraum
nach Jahren der vollkommenen Ausbildung
von Spezialräumen wieder zum Kern
alles gesunden Wohnwesens zurückkehrt und
davon den Ausgang zu einer größeren, sozial
bedeutsameren Entwicklung nimmt, so hat
Strnad gewiß den stärksten Teil daran. Die
Renaissance des Wiener Wohnzimmers wird
sich von ihm herleiten.
In derselben Richtung liegt auch der besondere
Wert seines Möbels. Es hat nicht
nur jene Beweglichkeit, die sich leicht in
einen neuen Raum schickt, sondern auch die
andere, die mannigfache Zusammenstellungen
erlaubt. Durch die eine Eigenschaft kommt
es dem großstädtischen Wohnwechsel, durch
die andere der Bereitung seiner Wohnstube
für alle und alles zu Hilfe — durch beide wirkt
es den starren Spezialeinrichtungen im Lager
des Möbelhändlers entgegen, die ihren Wohnwert
stetig vermindert haben und ihn unter
dem neuen Einfluß nur wieder günstiger entwickeln
können.
Ueberall ergibt sich das gleiche: Bewegung
— von Grund auf. Die einfache Ursache liegt
in seiner echten Lehrernatur. Die Schule, die
Schüler wissen das. Davon wird man ein andermal
eingehend sprechen müssen. Max Eisler
154
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_38_1918/0192