Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 40. Band.1919
Seite: 367
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ARCH. ALBIN MÜLLER-DARMSTADT

er studierte, und Weimar, wo er 1813—1814
weilte. Die Kasten, spitzen Dächer und Türme
der deutschen Stadt, über die er sich halb verächtlich
ausspricht, waren ihm also wohl bekannt
. Hatte er nun ein Recht, vom Standpunkt
seines Schönheitsideals die nordische Bauweise
abzulehnen?

Diese Frage muß im großen Ganzen bejaht
werden. Betrachten wir die mittelalterlichen
Kirchenbauten, so erscheint es zunächst unzweifelhaft
, daß der gotische Baustil dem klassischen
Schönheitsideal nicht entsprechen kann.
Das Wesen der Gotik besteht ja in dem Streben
nach oben. Sein urewiges Geheimnis ist
es, daß die Strebebögen und Strebepfeiler, die
den Schub der Mauern und Gewölbe aufnehmen
und nach unten zur Erde leiten, dem Auge
die entgegengesetzte Bewegung von unten nach
oben vortäuschen, ein Abbild der Seele und
zwar der christlichen Seele, deren Reich nicht
von dieser Welt ist, sondern im Jenseits, in das
sie so, die Gesetze der Materie verachtend,
entschwebt. Ganz anders die platonischen
Ideen. Diese sind unbedingt von dieser Welt.
Sie sind ja richtig verstanden, nicht Gedanken,
Begriffe, sondern wahre Urbilder der Dinge

ZERLEGBARES HOLZHAUS: SCHLAFZIMMER

mit räumlicher Ausdehnung. Daher auch das.
Materielle, Gegenständliche des klassischen
Weltbildes, wie es noch heute jedem Italienreisenden
unverkennbar und ununterbrochen
vor Augen tritt. Das Gesetz der Stilreinheit
könnte sich ferner zwar auch im nordischen,
mittelalterlichen Gotteshause zeigen. Es gibt
aber in Wahrheit nur wenige stilreine gotische
und auch romanische Dome, wobei von den erst
im letzten Jahrhundert vollendeten abzusehen
ist. Die jahrhundertelange Dauer der Bauzeit
brachte es mit sich, daß bald hier ein Renaissanceportal
, bald dort eine Barockkapelle angebaut
wurde, von der eingangs erwähnten
Innenausstattung ganz zu schweigen. Die nordische
Baugesinnung war eben eine andere.
Der Würzburger Erzbischof, dem wir die herrlichsten
Bauten des 18. Jahrhunderts in Deutschland
verdanken, trug auch nicht einen Augenblick
Bedenken, dem romanischen Würzburger
Dom eine Innenausstattung im üppigsten
Barock zu geben oder von Johann Kaspar
Neumanns Meisterhand die Schönbornsche
Kapelle in gleichem Stil anbauen zu lassen.
Derartige grobe Verstöße gegen das Gesetz der
Stilreinheit finden wir dann allenthalben bei

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