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AUGUST RENOIR f
Aus Paris kommt die Kunde, daß nun auch
der letzte der vier großen Maler Frankreichs
hochbetagt dahingegangen ist. Mit Staunen
fast vernahm man's. War doch Renoir,
ebenso wie sein vor zwei Jahren verstorbener
Genosse Degas, schon zu einem Klassiker
moderner Malerei geworden, seine Kunst schon
so sehr dem Parteiengezänk entrückt, fast zum
Begriff geworden, daß man sich schwer den
Urheber der graziösen Farbenpoesien noch
unter den Lebenden denken konnte. Aber eben
diese Erwägungen, seine für unsere rasche
Wandlungsfähigkeit schon fast altmeisterlich
gewordene Kunst, die am wenigsten den Streit
der Meinungen zu entfachen imstande war,
die den geringsten Widerspruch erregte, lassen
das Unternehmen, dem Schaffen eines französischen
Künstlers im gegenwärtigen Augen-
Die Kunst für Alle. XXXV. cj'io. Februar 1920
blick gerecht zu werden, weniger bedenklich
erscheinen. Es hätte bei gegenseitigem Bestreben
, sich zu verstehen, überhaupt so manches
Streites nicht bedurft, der mit einer der
besseren Sache werten Heftigkeit geführt wurde.
Gegen eine richtige Einschätzung der hohen
Werte mancher französischer Künstler konnte
kein wirklicher Kunstfreund etwas einzuwenden
haben, auch nichts gegen den Ankauf ihrer
Werke für deutsche Museen. Wohl aber lag
die Gefahr bei der bekannten Veranlagung des
Deutschen nahe, daß nun junge deutsche Künstler
sich die Sache leicht machten und die Franzosen
einfach abschrieben, wie das ja auch
tatsächlich geschah, und dafür, für diesen Prozeß
der Denkfaulheit, von urteilslosen literarischen
Parteigängern in den Himmel erhoben
wurden. Auch diese Gefahr lag bei Renoir
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