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AUGUST GAUL
DREI GÄNSE (BRONZE)
wohldisziplinierte Formkunst Adolf von Hildebrands
ein Wegweiser.
Gaul ist eine einfache Natur. Alles Pathetische
ist ihm fremd. Und so kann man sagen,
daß er zum guten Berliner geworden ist. Er
ist darin Liebermann ähnlich. Kein niedliches
Genre, kein falsches Pathos; was er will ist die
Existenz des Tieres, sein Dasein als ein Stück
Natur. Daher kennt er auch nicht das Tierbild
als interessantes Jagdstück, als Wüstenromantik,
als Gutshofidylle. Den ganzen malerischen Plunder
arrangierter Tierszenen, die sentimentale,
sogenannte Naivität des Jungviehs, auch jene
vermeintliche Sachlichkeit des Tierporträts —
hat sein plastisches Erlebnis sich ferngehalten.
Das Leben der Form war sein würdigster Gegenstand
, d. h. die materielle Form der Natur
in die sehbare Form des Kunsthandwerkes umzugestalten
. Wie einfach und selbstverständlich
erscheint diese Aufgabe, welche der Sinn der
plastischen Form ist. Wie viele aber haben geglaubt
ihn eilfertig zwingen zu können, indem
sie anfingen zu stilisieren. Besonders ist die
Tierform mit diesen rationellen Rezepten erledigt
worden. Und besonders hat das Kunstgewerbe
hier Formeln statt Formen gefunden, die
man aus der jeweiligen Eigenart des Materials
stilgerecht zu legitimieren glaubte. Alles das ist
vergangen, Gauls Formenkunst ist Leben geblieben
. Er allein brachte für die Umformung im
plastischen Erlebnis die Unmittelbarkeit und
Breite des Naturempfindens mit. Nicht daß er
als Mensch keine andere Liebe auf dieser Welt
hätte als das Tier, nicht daß er jener verzückte
Schwärmer oder einfältige Liebhaber vom Schlage
der Kakteenzüchter Spitzwegs wäre. Das Tier
war vor allen Dingen plastisches Erlebnis und
unverbrauchter als der Mensch. In dieser Beschränkung
liegt seine Meisterschaft.
Lange hat das 19. Jahrhundert von der
Meisterschaft des größten Tierbildners aus
der ersten Hälfte, von dem Franzosen Barye
gezehrt. Das wilde Tier gab den Ton an. Mit
einem glühenden Pathos strömt die Animali-
tät seiner Bestien aus. Kampf und Raub
geben das Motiv. Barye hat hierin oft die
hinreißende Gewalt eines Delacroix erreicht
und auch noch einfacheren Tierexistenzen diese
innere Unruhe mitgeteilt. Er ist ganz Romantiker
. So zittert bei ihm auch noch die Oberfläche
, nicht nur die wildzerrissene und zerklüftete
Silhouette, von der Erregung der Sinne.
Auch er hat sein plastisches Erlebnis, hat seine
Umformung in einer frei bewegten, nie ruhen-
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