http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_41_1920/0384
als Maler zu sein scheint, zur Radier- und Kaltnadel
greift und einiges von dem, was ihn bewegt
, dem Kupfer anvertraut. Oder sollten die
Blätter, die auf diese Weise entstanden sind, wirklich
nur einer unbesorgten Laune Kinder sein?
Man kann sie so sehen, ohne Zweifel. Aber es ist
gewiß auch so, daß Landenberger dem heute allgemein
gewordenen Zuge zur Graphik, und besonders
zur Radierung, gefolgt ist, halb freiwillig
und halb im Banne dieses Triebes. Dieser Trieb
jedoch ist im Grunde nichts anderes als die
berühmte Kehrseite der Medaille: der Wunsch,
die Dinge einmal anders anzusehen und anders zu
fassen, als es mit dem Pinsel möglich und notwendig
ist. Mit andern Worten: die Freude am
Strich und an der Linie im Gegensatz zur Farbe.
Diese Freude hat sich nun freilich bei den
Impressionisten, die sich ihr ergeben haben,
nicht in dem Sinne und in dem Umfang formbildend
erwiesen wie wir das bei den Expressionisten
sehen. Das Ganze blieb am Ende doch
mehr oder weniger Spiel, ein Spielen mit der
Nadel, aus reinem Vergnügen an der Sache selbst,
am Technischen und an allem Drum und Dran.
Daß sich damit, wie bei Landenberger, sehr ernste
Vorstellungen verbinden können, versteht sich
eigentlich von selbst, denn Spiel ist Temperamentssache
; und so war es naturgemäß, daß die Hand
Landenbergers, wenn sie die Nadel führte, Lieblingsideen
zu formen versuchte. Zu diesen Vorzugsmotiven
Landenbergers aber haben immer
schon religiöse wie überhaupt tragische Vorwürfe
gehört. Ihnen begegnen wir also auch hier.
Trotzdem beruht der Wert dieser Blätter
kaum auf dem Motivischen, so wesentlich es
auch sein mag, sondern vorwiegend auf ihren
graphischen Qualitäten. Sie legitimieren sich dem
Kenner solcher Dinge ohne weiteres als Arbeiten
eines Künstlers, der das Radieren nicht im Hauptamt
, sondern als Parergon ausübt. Aber gerade
in diesem Zufälligen, Unberührten, jedem Virtuosenhaften
weit Abgewendeten liegt der Hauptreiz
dieser Blätter. Sie sind flüssige Niederschriften
, denen man wohl das sorgfältige Naturstudium
, aber keinerlei technische Mühe ansieht.
Es ist die vollkommen unkorrigierte, fast hätte
ich gesagt jungfräuliche Handschrift des Künstlers
, die uns hier zu lesen gegeben ist. Je länger
wir uns in sie versenken, desto vertrauter und
lieber wird sie uns. Und gewiß ist es nicht zuletzt
, sondern sogar in erster Linie das spezifisch
Graphische dieser Radierungen und Kaltnadelarbeiten
, das sie uns so wert macht, nicht nur als
neue Zeugnisse für Landenbergers geläutertes
Künstlertum, sondern auch absolut als vollwertige
Proben moderner Graphik. Kein ernsthafter
Sammler wird an ihnen vorübergehen dürfen.
Richard Braungart
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