http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_41_1920/0440
WILHELM LEHMBRUCK KOMPOSITION
Große Kunstausstellung- Düsseldorf ig20
zur Herrschaft gelangt, ins Schießen über das
Ziel. Die Gefahr, daß der Abseitige verdorrt,
besteht fort. Noch mehr vielleicht, sie ist größer
geworden. Er ist zu ehrlich, dem Publikum eine
Verbeugung zu machen; das Bild für die gute
Stube und die Freude an dem landläufig gebrauchten
Schönheitsbegriff kann auch der Expressionismus
nicht töten. Das schwerer Zugängliche
ist immer unbequem, die Masse kann daher
in ihrer Gesamtheit nie von der Tiefe erschüttert
werden. Hier hat er also nichts zu suchen. Von
der andern Seite aber nichts zu hoffen, weil er
sich ebenfalls nicht bedingungslos unterwirft.
Denn so wie das Schaffen eines Stils von jenen
Kreisen aufgefaßt wird, bedeutet es das Untergehen
des Individuums im Ausdruck kompakter
Massen. Eine Begriffsverwirrung, weil für den
Künstler die Analogien wirtschaftlicher oder
politischer Organisationen nicht zutreffen. Den
Schlagworten der Diktatoren auf diesem Gebiete
sind natürlich die auf den Zweigen der
bildenden Kunst Schaffenden um so eher zugänglich
, weil Skepsis, nüchterne Erwägung, objektive
Kritik dem Wesen des Künstlers nicht entsprechen
. Hier ist Impuls, Intuition, Temperament
. Revolutionär des Geistes, glaubt er radikal
, nicht konservativ sein zu müssen, und ist
somit von jenen Naturen mit diplomatischer
Veranlagung, die genau wissen, auf welche Töne
er am leichtesten reagiert, unschwer für eine
Zeitlang am Gängelband zu führen. Er ist für
den Kampf, für das Neue. Das Gesetz der Welle
ist aber stärker als er. Je heftiger der Streit
und das Verlangen nach Umsturz, um so kürzer
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