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F. STAEGER-MÜNCHEN
den je zwei Illustrationsfolgen zum „Leben eines
Taugenichts" und zu „Mozart auf der Reise
nach Prag" sagen. Und wenn wir schon klassifizieren
wollen oder sollen, so gebührt der Preis
vielleicht der Folge von Zeichnungen zu Mörikes
Meisternovelle, die so vortrefflich in Kupferdruck
wiedergegeben sind, daß sie wie Radierungen wirken
, und das um so mehr, als der Zeichner und
der Radierer Staeger sich kaum voneinander
unterscheiden. (Eine zweite, ganz anders geartete
Folge zur Buchausgabe der „Mozartreise" ist radiert
, und zwar, trotz einer Fülle winzigster Einzelheiten
, in so kleinem Format, daß selbst die
besten Augen sich mit einer Lupe bewaffnen
müssen, wenn sie Einzelheiten erkennen wollen.
Man kann das, gerade als Freund der Arbeiten
Staegers, im Prinzip nicht gutheißen, auch wenn
die Praxis manchmal dafür zu sprechen scheint.)
Blätter dieser Art des näheren schildern oder gar
erklären zu wollen, wäre ebenso überflüssig wie im
Grunde unmöglich; denn das meiste spricht für
den, der die Texte kennt, von selbst vernehmlich
genug; und was an feinen Bezüglichkeiten, Anspielungen
und Hinweisen aller Art in dem krausen
Gewirr solcher Staegerscher Zeichnungen
verborgen des Entdeckers harrt, das könnte durch
nüchterne Erklärungen nur an Reiz verlieren.
Solche Kunst will durch beschauliches Sich-in-
RADIERTEINNENTITEL
sie-Versenken erfühlt und nicht beschrieben sein.
Und sie setzt beinahe ebenso naive Betrachter
voraus, wie gewisse Bilder des Mittelalters, auf
denen gleichfalls, ohne jede Rücksicht auf die
tatsächliche Möglichkeit, die verschiedensten
zeitlich und räumlich getrennten Geschehnisse
sich gleichzeitig und nebeneinander begeben.
Man darf, nach diesen trefflichen Proben, dem
Illustrator Staeger eine erfolgreiche Zukunft voraussagen
und wünschte nur, daß dieser unendlich
fleißige, vielbeschäftigte Mann immer auch
zu gelegenheitsgraphischen Kleinigkeiten (Exlibris
, Glückwünschen, Geburtsanzeigen usw.)
Zeit finden möchte. Die hier gezeigten Proben
dieser gefälligen, gedankenreichen Kleinkunst
werden diesen Wunsch begreiflich machen. Es
gibt nicht zu viele Künstler von ähnlichem Ideenüberfluß
auch auf diesem Gebiete, und man sähe
daher Staeger nicht gerne durch eine Beschäftigung
davon abgedrängt, die in der Regel doch
weit mehr als es den Anschein hat, eine dienende
ist. Das ist selbstverständlich keine Schande, in
diesem Falle sogar eine Ehre. Aber die absolute
Freiheit des Schaffens muß auf die Dauer
weit mehr locken. Und wir gönnten es daher
Staeger, daß er es nie nötig hätte, sich diese
Freiheit allzusehr beengen oder ganz rauben
zu lassen. Richard Braungart
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