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KURT EDZARD SKLAVIN
ist innere Sammlung, und das entscheidende
Problem, mit dem er sich in seinen Arbeiten
langsam, schrittweise, vor überstürzten, vorschnellen
, billigen Lösungen durch ein strenges
künstlerisches Gewissen gesichert, auseinanderzusetzen
hat, wird durch die Forderung gegeben
, die gesteigerte Innerlichkeit zur Geltung
zu bringen, ohne den Gegenstand um sein
Eigenrecht zu betrügen, den Ausgleich zwischen
Geistigkeit und Sinnlichkeit, zwischen Konzentration
und Freiheit zu finden. Solche Lösungen
finden sich nicht auf einmal, nicht in wenigen
Jahren, man kann sie weder sich selbst, noch
der Umwelt diktieren, ohne in Korruption des
Empfindens und des Urteils zu verfallen, ihre
ersten Voraussetzungen liegen in der menschlichen
Natur und sind dem Willen und Studium
unzugänglich. Die Arbeiten Edzards deuten auf
eine zielsichere und entwicklungsfähige Anlage,
auf einen Künstler, der sich weder schnell zufrieden
gibt, noch vor der Zeit ausgibt. Er ist
in seinen Anfängen in den Bannkreis stilistischer
Vorstellungen und Gestaltungsgewohnheiten
geraten, die seiner Natur nicht ganz
gemäß waren, von dem landläufigen Expressionismus
hat er sich ferngehalten, der Wille und
das Vertrauen zur Sachlichkeit haben dann auch
bei ihm wieder die Erfahrung bestätigt, daß
die künstlerische Persönlichkeit kein anderes
Programm duldet als die unbedingte Hingabe
und erst in dieser frei hervortreten kann.
Kurt Edzard ist am 26. Mai 1890 in Bremen
geboren. Nach dem Verlassen des dortigen
Gymnasiums im Jahre 1907 und nach einer
italienischen Reise hat er zwei Jahre die Karlsruher
Akademie besucht, ohne sich gefördert
zu fühlen, und dann bis 1911 in Berlin in seinem
Atelier gearbeitet. In dieser Berliner Zeit, aus
der die „Sechzehnjährige" stammt, hat Edzard
den Einfluß Rodins erfahren, aber gleich starke
Vorbehalte gemacht, da sein plastischer Sinn
anders orientiert war und nach einer anderen
Art der Differenzierung der Teile, nach einer
anderen Lagerung der Massen verlangte. Mit
dem Porträt einer Schauspielerin ist Edzard
auf der Ausstellung der Sezession 1910 zum
ersten Male vor die Öffentlichkeit getreten.
Entscheidend für die Klärung der Ansichten
ist der Aufenthalt in Paris geworden, wohin
Edzard nach der Beendigung seines Dienstjahres
ging. Hier empfing er durch Maillol,
von dem die große Gegenwirkung gegen Rodin
ausgeht, die Eindrücke und Anregungen, die
seine eigene Produktivität von der malerischen
Behandlung der Oberfläche abdrängen und das
Gefühl des Körperlichen, des erfüllten Raumes
zur Grundlage der Darstellung machen. Die
Kunst Maillols war kräftig, sinnlich, lebendig
genug, um die Gefahr der Abstraktheit zu
beschwören. Sie liegt natürlicherweise stets
nahe, wenn man sich von malerischer Behand-
lungsweise entfernt und sich deren Wirkungen
versagt. Die Kleinbronzen „Sitzende" und
„Liegender" (1913) zeigen Edzard auf dem
Übergangswege, sie zeigen, daß die eigene
Natur und der neue Bildungseinfluß die Fühlung
mit dem Vorbilde nicht zum Schema
erstarren lassen. Alle höhere Bewältigung des
Stofflichen führt zur Vereinfachung; daß eine
in dieser Richtung erfolgende Bearbeitung das
Interesse an den Einzelheiten nicht abtötet,
sondern gerade an ihnen sich bewährt, gibt ein
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