Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 49. Band.1924
Seite: 155
(PDF, 115 MB)
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Varia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Public Domain Mark 1.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_49_1924/0177
weht ist. Die Kunst, die in diesem Boden wurzelt
, ist nicht so unmittelbar Spiegel der Zeit,
wie das Schaffen eines Großstadtmeisters, aber
dafür notwendige Wehr gegen die Zeit. Müssen
wir zur Vergangenheit flüchten, um uns
eine Feierstunde zu schaffen? Sollten nicht
auch Lebende uns zu stillen Inseln lenken dürfen
, die der Jammer der Gegenwart nicht umbrandet
? Mögen sie immer Wege wählen, die
den Alten schon vertraut waren, — entscheidend
ist, daß ihr Werk inneres Erleben vermittelt
und daß es klar und stark spricht.

Die Blätter, die wir hier betrachten, sind
idyllisch und pastoral. Sie geben meist Bilder
aus dem Hirtenleben. Denn ihre Schöpfer verbringen
einen großen Teil des Jahres draußen
in der Einsamkeit. Spürt man in ihnen auch
nicht den zitternden Puls der Zeit, wie er im
Leben der Städte fühlbar wird, so doch den
Herzschlag des Volkes, seine Sehnsucht, seine
Mystik, das heilig glühend Herz. Sie sind nicht
Spiegelungen der Wirklichkeit; aber „der ver-
samlet heimlich schätz des herzen", von dem
Dürer spricht, wird in ihnen offenbar.

Der älteste der vier Künstler ist Rudolf
Scheller, am 3. März 1889 in Heretsried bei
Augsburg geboren, aufgewachsen in Neuburg,
später Schüler von Steppes. Seit 1908 lebt er
im Allgäu. Josef Nicklas und Alfred Vollmar
haben eben die Dreißig überschritten. Vollmar
ist in Nagold am 27. Mai 1893 geboren, Nicklas
in Ulm am 17. August. Beide stammen
aus oberschwäbischem Bauerngeschlecht und
haben schon die Schulzeit in Ulm miteinander
verbracht. Nicklas wohnt jetzt in der Nähe von
Waldsee; Vollmar sitzt in Ulm. Auf Wolfgang
Zeller (geb. 16. November 1900 in Ulm) wirkte
das Beispiel der älteren Freunde bestimmend ein.
Ihrem Kreise nahe stehen Camissar-Tübingen
und Heinsdorf-München. Sie alle sind auch
als Maler tätig. Steppes ist ihr Führer; Zeller
verdankt daneben Becker-Gundahl wertvolle
Anregung. Die schwäbische Herkunft zeigt
sich in einer Geruhsamkeit und Beschaulichkeit
, die auch ganz anders geartete Landsleute,
wie Caspar und Unold, mit ihnen verbindet.

Ihre Stärke liegt in der Griffelkunst. Eine
Graphikausstellung, die im vorigen Jahre durch
die schwäbischen Städte ging, brachte ihnen
eine starke Bevorzugung vor den kühlen Realisten
älterer Richtung. Das starke Empfinden
ihrer Kunst entschädigt selbst für gelegentlich
mit unterlaufende formale Unebenheiten. Die
Beschränkung des Stoffgebietes auf Menschen,
Tiere und Landschaft der Voralpen bedeutet

Schwäche und Vorzug zugleich. Man kann
nicht zu viel dieser Blätter auf einmal genießen
; einzeln betrachtet sind sie ihrer Wirkung
sicher. Am gedankenreichsten ist Vollmar
, dessen Kunst einen phantastischen Zug
hat, der sie mit der älteren Romantik verbindet
. Der Tod unter dem Kreuz in einer wilden
Landschaft (Abb. S. 159), der einsame Knabe,
der im matten Mondlicht auf einer Felsklippe
träumend an einen Stamm lehnt (Abb. S. 160), eine
Schafherde, aus dem Dunkel des Waldes zum
Wasser sich wendend, während die Hirtin den
Wolken nachschaut, vom Gewitter überraschte
Herde, ein Mädchen, am Gartenzaun wartend,
dies sind Gegenstände seiner Kunst. An Vielseitigkeit
kommt ihm Wolfgang Zeller nahe,
der sich zuerst, nach Dürers Vorgang, in der
eindringlichen Wiedergabe einzelner Silberdisteln
und anderer Pflanzen versuchte und
dann zur Darstellung größerer Landschaften
(Abb. S. 158) überging. Der religiöse Unterton
dieser Kunst ist in den Werken Schellers am
vernehmlichsten. Wenn er die Mutter mit dem
Kinde am Zaune sitzend darstellt, vor ihr die
weidenden Schafe (Abb. S. 156), fühlt man sich an
Marienbilder Dürers gemahnt, und in dem
Blatte des guten Hirten, der ein Lamm auf
dem Arme trägt (Abb. S.157), wird das christliche
Symbol noch lebendiger. Sein schönstes Blatt
ist die machtvolle, geschlossene Gruppe des
Hirten mit den Stieren (Abb. S. 152). Monumentalität
, von den anderen nur selten erreicht,
stellt sich bei Nicklas von selbst ein. Seine
Gruppen sind einfach und fest umrissen, sein
Strich ist markig und bestimmt. Gleich, ob er
einen struppigen Alten gibt, der mit seinen
Rindern von der Weide heimkehrt (Abb. S. 153),
oder einen Hirten an der Tränke (Abb. S. 154),
oder eine sitzende Gestalt, die nachdenklich
den Kopf in die Hände stützt, immer ist die
Sprache knapp und erschöpfend, die Anschauung
groß.

Ohne jegliche Beziehung zur heutigen Welt
leben auch unsere Künstler nicht. Ihr Verbindungsmann
ist Steppes; mit ihm arbeiten
sie zuweilen gemeinsam im Allgäu oder in einem
schwäbischen Albtal. Haider, Lugo, Thoma, auch
Böhle haben durch ihre Schöpfungen auf sie
eingewirkt. Daß auch Gogh in ihrem Gesichtswinkel
liegt, versteht sich. Wichtiger sind, neben
den alten Oberdeutschen, die holländischen Vorfahren
Rembrandt, Potter, Segers. Doch nicht
die Pflege der Überlieferung, die ihr Stil nicht
leugnet, sondern die eigene Schöpferkraft macht
ihre Kunst wertvoll. Julius Baum

155

20


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_49_1924/0177