http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_49_1924/0284
ERICH WASKE
FRAU AM WANNSEE
Rechnung zu unseren Gunsten abschließen. Wie
gesagt, auch die großen Expressionisten jetzt
haben vielfach die Wandlung nur artistisch,
nur mit dem Pinsel vollzogen. Sie sehen die
Dinge anders, freier, größer, aber sie sehen sie
mit der Netzhaut, nicht mit der Seele. Waskes
philosophischer Eros läßt ihn gleichsam naturwissenschaftlich
aufhorchen, Urakkorden der
Gesamtheit lauschen. Es liegt etwas Hamannisches
in ihm. Wie der „Magus des Nordens"
den „Donner und seinen einsilbigen Gefährten,
den Blitz" als Urbestandteile der Poesie anschaut
und damit Herder und Goethe für Lebenszeit
auf größere Bahnen schleudert, so ruht
Waskes brennendes Auge in der Sonne. Ein
großes Erkennen, ein kosmisches Nachkonstruieren
ist in ihm tätig. Er baut die Urlandschaft
auf. Er genießt den Werdeprozeß rückschauend
noch einmal. Mit glänzendem Kadmium
wiederholt er die Flammen und Wärmen der
göttlichen Zeugung und läßt das ewige Werde
dröhnen. Er fühlt sich in alle Weiten der Kos-
mogonie hinein, aus der Erinnerung an Gewesenes
schöpft er Glaubensmut und Hoffnung
zu neuem Fortgang. Er ist durch und durch
gläubig, optimistisch. Spenglers grämliche Verzweiflung
an der untergehenden Abendlandskultur
liegt ihm meilenfern. Was ist ihm Krieg,
Haß, Einzelfall? Er sieht typisch, philosophisch,
platonisch, wie im „Traum des Scipio" der Betrachter
von Sternenhöhen auf das kleinliche
Treiben der Ephemeren. Der umfassende Blick
ist es, der Waske vor anderen eignet und ihn
erhebt. Nun kommt dazu die Liebe, die bei ihm
edelste Gestalt annimmt. In seinem unvergleichlich
schönen Bilde „Liebende" wird in einem
tiefen, andachtsvollen Kuß die Abgründigkeit
reiner Liebe besungen. Es ist ein keusches Bekennen
heißer, triebhaft und zugleich überirdisch
verklärter Empfindung. Man hat das Gefühl,
daß auch hier der Einzelfall zu kosmischer
Großheit ausgewertet wird. Bei keinem der
Neueren sah ich das so rein, tief, edel und inbrünstig
ausgesprochen wie hier.
Nun ein paar Worte über einige z.T. hier wiedergegebene
Werke. Da sehen wir von Früherem
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