Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 50. Band.1924
Seite: 160
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WOLFGANG VON WERSIN

Das Kunstwerk hat eine doppelte Sinnlichkeit
, eine äußere und innere: das Stofflich
-Technische, ohne das es keine Verwirklichung
der Form gibt, und diese selbst als
Sichtbarmachung des Geistigen. Stoff und Form
stehen im Verhältnis gegenseitiger Ergänzung,
oder es wird der Stoff durch die Form getilgt;
diese letztere, die Schillersche Art ist die idealische
gegenüber der realistischen ersteren. Beide
haben im Laufe der Zeit gewechselt, und selbstverständlich
hat jede ihre Berechtigung. Das
moderne Kunstgewerbe fordert wesentlich Materialgerechtigkeit
, technische Zuverlässigkeit,
zweckmäßige Grundform. Gegenüber einer fast
sinnlos gewordenen Zierwut, vielfachen Surrogatbildungen
und schlechter Arbeit an mangelhaften
Formen wirken solche Grundsätze
wie eine Rückkehr zur Natur: sie haben etwas
Gesundes und Reinigendes. Aber sie enthalten
noch kein künstlerisches Programm, sind bloß
Vorbedingungen für ein solches. Die Formgesinnung
ist das Entscheidende. Diese aber besteht
in der Moderne zumeist noch darin, sich
aus jenen Elementen zu einfachsten Gebilden
anregen zu lassen. Für die industrielle Herstellung
von Massenartikeln ist dies ein ausgezeichneter
Weg; für die erlesenere Handwerksleistung
aber und höhere Ansprüche überhaupt
wird damit zu wenig erreicht. Man sieht dies
allmählich immer mehr ein: die einen glauben
damit den Weg für das Ornament und eine
mehr oder weniger persönliche Form freigegeben
, die anderen suchen die einmal gewonnene
Grundanschauung zu vertiefen. Zu diesen
gehört Wolfgang v. Wersin. Er entwickelt die
Kunstform wesentlich unter der Mithilfe des
Materials, das er auf dessen Geist, Seele und
Stimmungskraft hin bedenkt und erlebt. Aus
solchem Sinn wirken die Eigenschaften des
Schweren und Leichten, Starren und Gefügigen
, Harten und Weichen, Festen und Losen,
Kräftigen und Zarten, Stumpfen, Matten und
Glänzenden, Farbigen und Neutralen als formschaffende
Werte. Wersin gewinnt aus ihnen
den Blick und das Gefühl für den Ausdrucksgrad
der Linie, Fläche und Körperlichkeit, die
jeweils aus diesem oder jenem Stoff zu erreichen
sind. So drängt sich ihm das Kupfer zu schweren
, geschlossenen, behäbigen Formen, das Messing
aber zu geschmeidiger Gestaltung, zu vielfachen
Subtilitäten.

W ersin hat für das Metall eine besondere Vorliebe
und Begabung. Unsere frühesten und
besten Zinnarbeiten gehen vielfach auf ihn zurück
. Er wußte dieses Stoffes Weichheit und
milden Glanz, sein dämmeriges Grau und dehniges
Gefüge in schlichten Bildungen warm und anheimelnd
lebendig werden zu lassen. Des Mes-
sings feuriges Gefunkel entfaltet er in weiten
Flächen und steigert es durch Hammerschläge
zu erhöhtem Leben. Er meistert aber auch die
edle Ruhe der glatten Fläche. Die dünnwandige
Elastizität nützt er für eleganteste Kurven
aus, die füllige Masse für einen festen Aufbau.
Wie sehr der Aufwand im Material allein schon
den Charakter der Form steigert oder gefährdet
, zeigt sich an den edel-einfachen Arbeiten
von Jan Eisenlöffel, die vor etwa 15 Jahren
mit Recht Aufsehen erregten. Der Künstler
benützte die Dünnwandigkeit des Bleches für
leichte Formen, die man gerne balancierend in
den Händen wog. Als das Warenhaus Wertheim
die gleichen Stücke für eine billige Auflage
dünner machen ließ, wurden sie nüchterner und
durch die derbere Arbeit gewöhnlich.

Wersin bevorzugt das Füllige, Quellig-Lebendige
und Geschmeidige im Messing, das er aber
mit knappen und stämmigen Einzelformen zu
durchsetzen versteht. Man betrachte in diesem
Sinn den Spirituskocher, dessen Umgitterung
Schutz gegen die Flamme bietet und zugleich
einen wirksamen Gegensatz zum Hauptbehälter
schafft. Verlässig und doch leicht wirkt der
ganze Apparat, wohlgesichert gegen die Tücken
des Objekts. Schlangenwendig spannt sich der
Bügel in die Verankerung, beinahe kokett dort
versichert und wie zum Heben herausfordernd.
Die kräftigen, griffigen Henkel des Kochgefäßes
gehen ihrerseits mit dem Stangenwerk
zusammen. Der kantige Knopf wirkt wie ein
stämmiger Pflock, um den das mannigfache
Linienspiel sich schwingig legt.

Von anderer Art ist der Brenner mit der
großen, behäbigen Kanne. Klar sind die beiden
Hauptteile voneinander getrennt. Die säuligen
Träger der Kochplatte finden ihre Fortsetzung
in der stelzigen Handhabe des Kessels, der zwischen
dem oberen und unteren Freiraum sich
in behaglicher Fülle entfaltet. Geruhsam legen
sich die Wülste um den konkaven Sockel, aus
dem der eigentliche Behälter vollbauchig herausschwillt
, um sich in des Halses straffer Begrenzung
ruhig zu schließen. Wie ein edel geschwungener
Vogelhals drängt sich der Ausguß
im Wohllaut seiner geschwungenen Flächen und
geschmeidigen Linien aus dem Grundkörper.
Das Hell-Dunkel-Spiel der Reflexe erfüllt das
Ganze mit einer schillernd lebendigen Oberfläche.

In ähnlicher Weise sind auch die anderen
Stücke zu betrachten und zu bewerten. Ich
möchte nur noch auf jene Kanne verweisen,
deren Querstreifen dem gemessenen Zylinder

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