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PHILIPP OTTO RUNGE
Hamburg, Kunsthalle
DAS NACHTIGALLENGEBÜSCH
HAMBURGISCHE MALEREI IN DER ERSTEN HALETE DES
19. JAHRHUNDERTS*)
Zum Unterschied von Kunstzentren wie Berlin
, Dresden und München, haben in Hamburg
die Künstler von jeher unter einer gewissen
Isolierung zu leiden gehabt, nicht nur aus dem
Grunde, weil der Boden Hamburgs und die
Sinnesart seiner Bewohner künstlerischen Dingen
nicht günstig waren, sondern weil hier die
Akademie fehlte, welche, besonders im Anfang
des 19. Jahrhunderts, der natürliche Mittel- und
Ausgangspunkt künstlerischer Anregung und
Traditionsbildunghätte sein können. Es gab zwar
Lehrer wie Gerdt Hardorff, S. Bendixen und
J. H. Herterich, die Zeichen- und Malschulen
unterhielten, auch wohl einige alte Gemälde den
Schülern als Vorbilder wiesen, der Unterricht
erstreckte sich doch nur auf die Anfangsgründe
der Technik und Komposition. So sehen wir
denn Runge nach Kopenhagen und Dresden, die
meisten der späteren Künstler sich zur Vollendung
ihrer Ausbildung nach München wenden.
Ein wesentlicher Unterschied in der Stellung
Hamburgs zur Kunst gegenüber den Metropolen
lag auch darin, daß Hamburg keine Residenz
war. Keine fürstliche Passion und Prachtliebe
schuf hier je jungen Künstlern dekorative und
Porträtaufträge, keine Kunstkammer wie in viel
kleineren Plätzen gewährte dem jungen Maler
Anregung und Belehrung. Stets ist die Initiative
auf kulturellem Gebiet von privater Seite in
Hamburg ausgegangen.
Wie es bei der überragenden Bedeutung des
Handels in Hamburg nicht anders zu erwarten
ist, nahm auch im Beginn des 19. Jahrhunderts
die Kunst im Kulturleben der Stadt nur einen
bescheidenen Platz ein.
Im 18. Jahrhundert vertraten in Hamburg Bal-
*) Bei G elegenheit des Erscheinens von Gustav Paulis „Die Hamburger
Meister der guten alten Zeit", München, Hyperion-Verl.
tbasarDenner,später sein Schwager v. d. Smisscn
den von Frankreich stammenden repräsentativen
Bildnisstil. Eine Welt liegt zwischen ihren Bildern
und denen Philipp Otto Runges, mit denen
das neue Jahrhundert in Hamburg einsetzt. Nach
seiner Ausbildung in Kopenhagen und Dresden
kehrte Runge i8o4 hierher zurück, die letzten
sechs Jahre seines Lebens vor allem der Ausgestaltung
der vier Tageszeiten widmend. Daneben
entstanden Bildnisse von herber Großartigkeit
, zwei religiöse Gemälde, die Lehrstunde
der Nachtigall und die poetische Schilderung
der Quelle.
Wenn wir den Ernst Rungescher Bildnisse mit
der Liebenswürdigkeit Groegerscher Gestalten
vergleichen, spüren wir, wie Runge diesem Spezialisten
überlegen ist.
Runge blieb eine vereinzelte Erscheinung, ohne
Vorläufer, ohne Nachfolge. Seine Kunst trägt
alle Merkmale einer ganz persönlichen Leistung.
Die jüngere Generation, die durch die Namen
Julius Oldachs, Erwin Speckters, Julius Mildes,
V. E. Janssens und Fr. Wasmanns bezeichnet
wird, steht unter der Einwirkung der durch die
Nazarener ins Leben gerufenen Kunstanschau-
ung. Oldachs Bildnisse, die vor seiner Münchner
Studienzeit liegen, lassen ahnen, wieviel natürliches
Darstellungstalent er besaß, das dann aus
seiner ursprünglicnen Bahn gelenkt wurde. Oldachs
Leben und Schaffensdrang stand unter dem
dunklen Schatten unheilbarer Krankheit, die zu
einem frühen Tode führte. Ein gleiches Schicksal
traf Erwin Speckter und Janssen. Speckter verfiel
nach den liebenswürdigen Leistungen seiner
Jugend, wie den „Frauen am Grabe", den Bildnissen
, einem weichen Akademismus.
Die stärkere Begabung als er war entschieden
V. E. Janssen. Es hat sich von seinen Bildern
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