Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 2651
Arbeitsgemeinschaft Freiburger Stadtbild [Hrsg.]
Freiburger Stadtbild (1974): Aufsätze - Vorschläge - Berichte
1974
Seite: 19
(PDF, 13 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/fr_stadtbild_1974-03/0019
Nachstehend veröffentlichen wir einen Ausschnitt aus den
Pos. 9-11 des Apostolischen Schreibens „Octogesima
Adveniens" vom 14. Mai 1971 in der Fassung und mit Genehmigung
des Johannes-Verlages in Leutesdorf am Rhein.

Papst Paul VI

„Neue Impulse für soziale Gerechtigkeit

Das maßlose Anwachsen solcher Städte kommt zur Steigerung der auf Gewinn bedachten
Industrie hinzu, hält mit ihr aber nicht Schritt. Die Industrie- und Konsumwirtschaft, die auf
technologischen Forschungen und Veränderungen der Natur beruht, hält unbeirrbar und
unablässig an der von ihr eingenommenen Marschroute fest und stellt ständig ihr Effektivität
unter Beweis. Während aber die einen Wirtschaftsunternehmen sich ausweiten und
zusammenschließen, gehen andere zugrunde oder ändern ihren Sitz; dies bringt neue soziale
Schwierigkeiten mit sich: unfreiwillige, berufliche oder regional bedingte Arbeitslosigkeit,
Überführung in andere Berufe, Berufswechsel, ständige Umschulung der Arbeiter, Ungleichheit
der Bedingungen, in welche die verschiedenen Sparten der Industriewirtschaft geraten.
Ein alle Maßen übersteigender Konkurrenzkampf, der mit den modernsten Reklamemitteln
die Wirtschaftsprodukte der Masse schmackhaft machen kann, stellt die immer neu erzeugten
Güter in den Mittelpunkt und lockt die Konsumenten, während alte Fabriken, die bis jetzt
einen ordentlichen Kurs steuerten, nutzlos werden. Während sehr große Bevölkerungsgruppen
nicht einmal die vorrangigen Bedürfnisse des Lebens befriedigen können, geht
man darauf aus, das Verlangen nach überflüssigen Dingen zu wecken. Deswegen stellt
sich nicht von ungefähr die Frage, ob der Mensch, auch wenn er noch so großes erreicht hat,
nicht die Frucht seines Schaffens und Mühens gegen sich selbst wendet. Wird er nicht selbst,
nachdem er zu Recht die Schätze der Natur in seinen Dienst genommen hat, zum Sklaven
der von ihm produzierten Erzeugnisse?

Ruft denn nicht der Lebenstil, welcher der dichten Besiedlung der Städte eigen ist und mit
der in der Industrialisierung begründeten zunehmenden Zivilisierung einhergeht, nach der
Weisheit des Menschen, nach seiner Fähigkeit, die Dinge zu ordnen und zu beherrschen,
nach seinem vorausschauenden Erfindungsgeist? Inmitten der produktionstechnisch aufblühenden
Gesellschaft zerstört der allzu große Drang nach der Stadt Lebensgewohnheiten
und traditionelle, durch Erfahrung erprobte Einrichtungen, in denen menschliches Leben sich
abzuwickeln pflegt: Familie, Nachbarschaft, ja sogar das Gefüge der christlichen Gemeinde.
Der Mensch erfährt nämlich eine neue Einsamkeit, die nun nicht aus einer ihm feindlichen
Natur herrührt, welche zu beherrschen er sich über Jahrhunderte hin bemüht hat, sondern
in einer ihm fremd vorkommenden Masse, von der er umgeben ist und in der er sich
gleichsam als Fremder fühlt. Die dichte Besiedlung der Städte, welche zweifellos eine
bestimmte Stufe der fortschreitenden menschlichen Gesellschaft ist und nicht mehr rückgängig
gemacht werden kann, stellt den Menschen vor nicht leicht zu lösende Probleme:
wie er das Anwachsen der Städte in den Griff bekommt, ihre Ordnung und Organisation
vornimmt, wie er den Bürgern zum Wohl aller Mut und Freude einflößt. Aber in diesem
wirren Wuchern entstehen neue Proletarier. Sie lassen sich mitten in der Stadt nieder, von
wo die Reichen bisweilen wegziehen; sie lassen sich in den Vorstädten nieder, die — vor
Elend starrend — in einer bisher noch stummen Protesthaltung die Städte umzäunen, wo
man übermäßigen Luxus genießt, ungezügelte Güter verbraucht, ja oft vergeudet. Die Stadt
fördert weder brüderliches Gemeinschaftsleben noch gegenseitige Hilfeleistung, sondern
begünstigt krasse Unterschiede und Gleichgültigkeit. Sie führt zu neuen Formen maßloser
Erwerbsucht und Knechtung, sofern einige die Notlage der anderen zu ihrem Vorteil ausnutzen
und daraus höchst verwerfliche Gewinne erzielen. Hinter den Häuserfassaden ist viel
Elend verborgen, von dem auch die unmittelbaren Nachbarn nichts wissen; anderes Elend
wiederum liegt offen zu Tage, da nämlich, wo die menschliche Würde mit Füßen getreten
wird.

Die sozial schwächeren Bürger aber kämpfen mit Lebensbedingungen, in denen die Menschlichkeit
preisgegeben, das Gewissen unterdrückt und der Familie schwerer Schaden zugefügt
wird. Massensiedlungen lassen nicht die geringste Intimgemeinschaft innerhalb der häuslichen
Wände zu ... Es ist also notwendig, daß jene Struktur gesellschaftlichen Lebens
wiederhergestellt wird, in der ein jeder die berechtigten Bedürfnisse der menschlichen
Person befriedigen kann — und zwar bezüglich der Stadtstraßen, der Wohnviertel, der
gesamten Bürgerschaft.

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