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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1949-02/0003
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Die Markgrafschaft

Wer dem im September in Haslach stattgefundenen
Trachtentreffen beiwohnte, war von der
Schönheit und vornehmen Einfachheit unserer
heimatlichen Trachten erstaunt und beglückt.
Sicher waren fast alle Trachten dem Besucher
bekannt. Aber als größere Gruppen immer wieder
durch die Straßen des schönen Hansjakob-
Städtchens zogen, wurde der vielfältige Eindruck
recht vertieft. Ein nicht leicht zu beschreibendes
Gefühl bemächtigte sich aller Teilnehmer: Das
Gefühl in einer sicheren Ordnung zu stehen, in
der jeder seine eigene Art behält und doch zweifellos
ebenso Teil einer Gemeinschaft ist. Vielleicht
war man sich unter dem roten Bollenhut
oder unterm Schäppel, unter der mit reicher
Goldstickerei versehenen Kinzigtäler Haube dessen
gar nicht so voll bewußt. Es war für die
Trachtengruppen — die ausnahmslos echt waren
— selbstverständlich. Aber was hier Selbstverständlichkeit
war, teilte sich dem Gast mit als
Ahnung, nicht ohne leichte Wehmut, im Gedanken
daran, daß man sich ein wenig fremd vorkam
; manche Frau wird auch verstohlen an ihrem
Kleid heruntergesehen haben, um dabei, wenn sie
ganz ehrlich war, zu entdecken, daß ihre Kleidung
im Verhältnis zur Tracht wie die Magd zur
Herrin steht, ein bißchen karg, kahl, ein bißchen
armselig, phantasielos, vielleicht auch ein bißchen
kalt.

Wenn wir nun am 16. Okober in Müllheim ein
ähnliches Fest — es soll tatsächlich ein Fest der
Tracht sein — erleben, so hat das alles seine Begründüng
in den Überlegungen, wie sie von Leuten
, denen das Herz beim Gedanken an die Heimat
aufgeht, angestellt wurden und wie wir sie
hier verzeichnen. „Die Markgrafschaft" wünscht
dem Tag einen guten Erfolg und unserer Mark-
gräflertracht neue Sympathien und neue Belebung
, an der, wie wir zum Schluß noch verraten
dürfen, auch das Trachtenhandwerk mithelfen

WÜl- L.Borsig.

Das Häuschen am Wege

Von Paula Kromer-Hollenweger

Wenn wir in die Stube der alten Christine
traten, war für uns Sonntag. Gewöhnlich saß sie
am Fenster, hatte den Strickstrumpf in der Hand
und ihre unwahrscheinlich jungen blauen Augen
leuchteten uns freundlich über die Brille, die ihr
vornen auf der Nase saß, an. Schneeweiß war ihr
glattes, gescheiteltes Haar, das sie nach früherer
Art über die Ohren trug. Zahllose Fältchen bedeckten
das gesunde und runde Gesicht, in dem
auch außer den hellen Augen, die roten schmalen
Lippen um den zahnlosen Mund auffielen. So
bot sie das Bild einer lebensfrohen alten Frau.
Zwei Betten, zwri Schränke, ein Tisch und eine
Kommode barg die sehr saubere, "geräumige
Stube, und in der Ecke stand der große Kachelofen
. Herrliche Geranien und Fuchsien und ein
Stöcklein Rosmarin blühte den Sommer lang an
den Fenstern mit den einfachen Gardinen. Erfreut
musterte sie die Wolle mit den anzustrik-
kenden Strümpfen oder Socken, die wir ihr aus
dem großen Korb, den wir zusammen hergetragen
, auspackten. Der Strumpfkorb unserer Mutter
wurde nie leer und so kam es, daß wir oft
den Weg zur alten Christine — anders wollte sie
nicht genannt werden — antreten mußten, und
wir freuten uns immer darauf. Wenn dann irgend
noch eine kleine Dreingabe mit eingepackt war,
die wir ihr geben durften, da war uns die Freude
dieser einsamen Frau selbst die größte Freude.
Standen wir Geschwister dann zu zweit, zu dritt
oder gar alle vier um sie herum, so legte sie den
Strickstrumpf aus der Hand und erzählte uns
die schönsten Märchen, die sie wußte. Die Zeit
verflog, und die Dämmerung wob uns mit ins
Königsschloß hinein, und der blank gescheuerte
weiße Fußboden wurde der herrlichste Teppich,
die alte Linde im Hofe der prächtigste Baum
unter den Bäumen des Schloßhofes. Aufatmend
vernahmen wir dann zum Schluß, daß das Gute
trotz mancherlei Nöte und Gefahren doch gesiegt
hatte und belohnt wurde*

War es Winter, so konnten wir oft stundenlang
hinter den weißen Vorhängen das lustige Treiben
der Vögel, denen ein Futterplatz vor dem
Fenster unter einem schützenden Dächlein gehörte
, beobachten. Da kamen die Meisen, Rotkehlchen
, Ammern, Zeisige, Zaunkönige, Spatzen
und sogar zwei Amseln gelegentlich. Fast jeder
Vogel hatte einen Namen: der Dicke, der Bub,
das Zeislein, der Bunte, der Vielfraß, der Max
und der Moritz, so hießen sie und die Amseln
hießen: der Pfarrer und der Geiger. „Der Geiger
singt so schön im Frühjahr und der Pfarrer stu~*
diert, drum kann er nicht so schön singen, wißt
ihr!", erzählte sie uns. Wenn einer ausblieb,
sagte sie: „Das Rötelein und der Dicksack kamen
heut den ganzen Tag nicht, möcht* wohl wissen,
wo die herumstrolchen!" Und groß war die
Freude, wenn ein so vermißter „Lausbub" ankam
. Wars im Sommer, so zeigte sie uns durch
das weitgeöffnete Fenster die Vogelnestchen,
die in der schönen Linde waren, deren Äste an
das Haus reichten und deren Duft, war sie in
Blüte, das ganze Häuschen und die Umgegend
füllte. Da durften wir sehen, wie die Vögel Hälm-
chen um Hälmchen zum Nestbau herbeitrugen,
wie oft tagelang nur ein Vogelköpfchen über den
Nestrand spähte und dann plötzlich frohes Leben
im Lindenbaum erwacht war. Da streckten sich
oft vier und mehr hungrige, breite, gelbe Schnäbelchen
den eifrig hin- und herfliegenden Alten
entgegen, und bald machten sie ihre ersten
scheuen Flugversuche.

Als wir sie wieder einmal besuchen wollten,
lag sie im Bett. „Ach, jetzt muß ich ins Bett liegen
, gerade jetzt, wo so viel zu tun ist!" Die
jüngste Tochter besuchte sie und wollte sie gleich
mit sich nehmen. Christine ging ungern, versprach
aber ganz bestimmt wieder zu kommen.

Einst an einem schönen Sommertag fuhr uns
der Vater mit den Pferden zu Christine. Sie
weinte vor Freude, als sie uns sah und wir mußten
ihr versprechen, bald wieder zu kommen.

Längst deckt sie der kühle Rasen. Doch wenn
ich heute vorbei muß, so ist mir, als zöge ein
wunderschönes Lied um das Häuschen am Weg
und um die trauliche Linde und verklingt leise
in der fernen seligen Kindheit.


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