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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-05/0006
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Die Markgrafschaft

Zenoides als die heiteren Zeugen einer glückseligen
Lebensepoche:

„Wie, sind wir nicht auf dem Belchen gewesen

und haben im großen Psalter gelesen?

Und als die seustel den Augen entschwanden,

haben wir das Halleluja verstanden,

daß krachende Eichen und stürzende Tannen

dem Nie-gesehenen zu singen begannen",

schreibt er noch 1804 an Hitzig, und ein Jahr
später:

Leb wohl, o Proteuser, im Lichte der Wahrheit

und tauche dich nieder im Meere der Klarheit

und weich von der Lehre des Proteus kein Haarbreit!"

Und auch die Freundin Gustave ist in diesen
Geheimbund und seine Sondersprache eingeweiht
und versteht, wenn er sie anfragt: „Ist es. wahr,
daß die erste Station von der Erde zum Himmel
auf dem Belchen ist und die zweite im Mond und
die dritte im Morgenstern und daß dort alle acht
Tage ein Komet als Postwagen ankommt und die
angelangten Fremdlinge von aller Welt ins
himmlische Jerusalem zur ewigen Heimat fährt?"
Und der heiterste Beleg für jenen Freundschaftsbund
von Lörrach ist der Brief Hebels an den
Vogt vom Mai 1792, den wir in dieser letzten
Ausgabe der „Markgrafschaft" wiedergaben. Dieses
köstliche Schreiben ist zugleich das erste
Dokument Heberscher Poesie. So war Hebel tatsächlich
Meldegänger zwischen den Gräben des
Metaphysischen und des Allzumenschlichen.

Aber dieser Meldegänger hat sich gewandelt
und ist zum „Propheten" geworden, „der in der
schlichten Verkleidung des Mundartdichters seinem
Volk das Reich Gottes auf Erden verkündigt
"; denn das bisher allgemein und verschwommen
Metaphysische hat sich umgestaltet zum
rein christlichen Reich Gottes, und das Allzumenschliche
veredelt sich ins Menschliche und
von Gott Ansprechbare. Ist nicht etwa im „Habermus
" oder im „Hephata, tu dich auf" der große
Lobpreis auf Gottes Macht und Güte angestimmt?
Erinnert uns nicht das „Gewitter" und der
Schluß vom „Winter" an das Wort Jesu über die
Vögel: „Sie sä je nit, un ernte nit, sie henn kei
Pflueg un henn kei Joch, un Gott im Himmel
nährt sie doch"? Ist zwar noch in der „Vergänglichkeit
" die altgermanische Sage auch im Gewand
christlicher Ewigkeitshoffnung transparent,
so tritt im „Wächter in der Mitternacht" vollends
der Prophet mit der Verkündigung vom Anbruch
des Gottesreiches deutlich zutage.

Aber den wichtigsten und wertvollsten Dienst
erweist uns Hebel nicht als der Prophet, sondern
als der „schüchterne Kanzelredner", der doch
kühn und unerschrocken genug ist, den Cherub
vor dem Paradiestor heimzuschicken. Denn der
im Karlsruher Exil Lebende, der sich selbst als
ein aus dem heiteren Garten der Kindheit Vertriebener
vorkam, hat in seiner Heimat am Oberrhein
die Ursprungsstätte nicht nur seines eigenen
Lebens, sondern der gesamten Schöpfung
gesehen und, über die neutestamentliche Verkündigung
und das Spiel mit dem altgriechischen
Mythus hinausgehend, in dies Land das Paradies

hineinprojiziert, hat die den Menschen verlorengegangene
Erstlingswelt der reinen Unschuld
hineingeliebt in die trauten Stätten seiner zwar
kargen, aber doch dann von goldenem Licht verklärten
Kindheit. Denn nirgends anders auf der
Welt als da in seinem Oberland kann er sich die
Umwandlung und Vollendung zum ursprünglichen
Dasein in Sündlosigkeit denken. In dieser
Schau nur können wir etwa die von Goethe so
geschätzte „Sonntagsfrühe" verstehen: „me meint,
me luegt ins Paradies" — oder das „Liedlein
vom Kirschbaum". Denn wie die ganze Natur, so
sind auch dort alle Wesen unbekümmert froh
und sündlos glückselig. Die Vögel im „Hephata"
sind die Verkündiger der Gottesgüte, wie ja —*
an anderer Stelle — „jedes geringe Spätzlein im
Oberland ein gemutzt Chorbüblein ist". Sogar
die Spinne im gleichnamigen Lieblingsgedicht
Hebels ist nicht mehr eine hinterhältige Mörderin
, sondern hat berechtigten Anspruch auf
den „Brotis", den ihr Gott mit der ungeschickten
Fliege beschert hat. Ja, die Menschen selbst wandeln
wieder im Lichte seliger Unschuld wie
„Hans und Vrene" und das „Friedli und das
Kätterli" in der „Überraschung im Garten"; Ehe
und Familienleben sind harmonisch und glücklich
, wie es die „glückliche Frau" und „der zufriedene
Landmann" aussprechen. Wahrlich, hier
ist die Scheidemauer zwischen Paradies und Erde
gefallen, und „der Cherub steht nicht mehr
dafür".

„Unser Hebel!" — wir könnend nur in tiefer
Verehrung aussprechen und mit dem großen
Verlangen, daß er es uns immer mehr werden
möchte. Er hat es um uns, sein Alemannenvolk,
verdient, wie selten ein Dichter, und es gilt für
ihn das Wort aus dem Tasso: „Und wenn der
Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein
Gott zu sagen, was ich leide". Gott gab's ihm,
daß er uns unter Lächeln viel zu sagen hat —
und Gott gebe es uns, daß wir ihn immer tiefer
verstehen.

Richard Nutzinger.

Der Rekrut

Ein Rekrut, dem schon in den ersten vierzehn
Tagen das Schildwachestehen langweilig vorkam,
betrachtete einmal das Schilderhaus unten und
oben und hinten und vornen, wie ein Förster,
wenn er einen Baum schätzt, oder ein Metzger
ein Häuptlein Vieh. Endlich sagte er: „Ich möchte
nur wissen, was sie an dem einfältigen Kasten
finden, daß den ganzen Tag einer dastehen und
ihn hüten muß". Denn er meinte, er stehe da
wegen dem Schilderhaus, nicht das Schilderhaus
wegen ihm.

J. P. Hebel.

die Monatszeitschrift des Hebelbundes

Sie erscheint monatlich und kostet einschließlich
Post oder Trägerlohn nur 50 Pfg.


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