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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-05/0024
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Die Markgrafschaft

Vorfahren in Frankreich mehr als einmal ihren
Glauben, ihr Leben, ihr Hab und Gut mit Waffen
in der Hand hatten verteidigen, zuletzt die Heimat
verlassen und ins Ausland wandern müssen?
Unmöglich: entweder waren die katholischen
Geistlichen zu jener Zeit ganz anders gewesen,
oder Pfarrer Kiefer, Schulmeister Jeune und
sein Großvater hatten ihn, den Jakob, zwar in
gutem Glauben, aber in irriger Meinung falsch
belehrt. Solche Gedanken waren nur zu natürlich
bei einem jungen Mann, in dessen großväterlichem
» Haus nur. die strenge, altreformierte
Hausordnung herrschte, wo -alles auf pünktliche
Pflichterfüllung hinauslief. Es kam eine weiche
Stimmung über ihn, die er bis jetzt nicht gekannt,
wozu noch beitragen mochte, daß der seither
unbeachtete, arme Bauernbursche sich von dem
Hofprediger und den übrigen geistlichen Herren
mit so ausnehmender Achtung behandelt sah.

Der Pfarrer von Neunkirchen sprach von
einer im Bezirk des Abts von Kempten aufgetauchten
Sekte; die Leute, sage man, verwerfen
das Fasten, Wallfahrten, Beichten und anderes
von der Kirche Vorgeschriebenes, obwohl sie nie
mit Protestanten in Berührung kämen.

„Man sollte", antwortete Sambuga, „in all
solchen Fällen sich das Gamalielswort: „Prüfet,
ob die Sache aus Gott sei, zur goldenen Regel
machen. Es ist doch eine Sache der Erfahrung,
welche bei allen Sekten gemacht wird, daß die
Leute zur Bibel greifen und herausfinden, das
und das hat Christus und haben die Apostel
gesagt und gefordert. Anderes ist erst später
hinzugekommen. Ist ihr Seelsorger ein im göttlichen
Wort erfahrener Hirte, so wird er an so
angeregten Leuten einen rechten Schatz für seine
Gemeinde gewinnen".

Astor, der junge Walldorfer Metzgersohn, war
kein Gelehrter, aber mit der Schrift war er vertraut
von Jugend auf; er kannte sie in- und auswendig
. Gebetet hatte der arme Junge schon oft
in seinem Dachkämmerlein in mancher Herzensnot
. So bekam er jetzt die Überzeugung, daß der
katholische Glaube nicht so schlimm sei, wie er
geglaubt. —

Sporengeklirr auf der Hausstaffel und im
Gang verkündete die Ankunft des Herrn Amtsvogts
. Alles erhob sich, und herein trat Herr
Erlenbaum, in der Rechten die Reitpeitsche, die
Linke auf dem Degenknopf, hechtgrauem, silbergarniertem
Sammetrock und schwarzsammtenen
Beinkleidern, die gleichfalls schwarze Weste mit
Gold überhängt. Draußen der Schrecken der zins-
und zahlpflichtigen Bauern, aber in Gesellschaft
die Liebenswürdigkeit selbst. Während der Vorstellung
hatte sich Nättelchen, Astor am Frack
zupfend, hinausgestohlen, die Tante soufflierte
diesem auch etwas ins Ohr, worauf er, freilich
etwas verzagt und nicht wissend, wen er um
Urlaub bitten sollte, ihr folgte. So spazierten
denn auf den etwas grasigen Wegen des Pf an-
gartens das Nättelchen und das „Subjekt", wie
der Herr Amtsvogt seinen Kanzlei-Rekruten hatte
titulieren wollen; aber die Tante und Nättelchen
hatten den Namen Incipient ausgemittelt.

Das Mädchen beklagte sich über große Langeweile
; sie höre die Predigten in der Kirche gern,
wenn sie nicht zu lang seien, aber beim Kaffee
nicht. Astor meinte, die Rede des Herrn Hofpredigers
habe ihm sehr gefallen; Natalie aber
fiel ihm mit der Frage ins Wort, ob und was für
französische Bücher er lese. Auf seine Antwort,
daß er am Sonntag in der welschen Bibel lese
und auch die Fabeln von Lafontaine fast auswendig
kenne, lachte sie laut auf und sagte:

„Mais, mon eher berger, Sie müssen von morgen
an bessere Bücher lesen, z. B. Romane von
Voltaire: Candide, l'Ingenu und dergleichen, das
versteht man doch und hat etwas davon".

Astor kannte Voltaire nicht und begriff auch
nicht, daß es etwas schöneres geben solle, als die
Bibel. Natalie aber stellte sich auf einen Gartenstuhl
und rezitierte einige französische Gedichte,
die sie in der Pension gelernt hatte, die aber

Bald denk i: 's isch e bösi Zit,

und weger, 's End' isch nümmi wit;

bald denk i wieder: loß es goh,

wenn's gnueg isch, wird's scho änderst cho.

Doch wenn i näumen anegang

und 's tönt mer Lied und Vogelsang,

se mein i fast, i hör e Stimm:

Bis z'friede! 's isch jo nit so schlimm!

weniger Eindruck auf ihn machten, als die Vortragende
selbst. Astor hatte sein zwanzigstes Jahr
noch nicht erreicht; die Kleine, die da auf dem
Stuhl deklamierte, war sicherlich nicht über
sechzehn Jahre alt, der Standesunterschied so
groß, die Kluft zwischen einem Fräulein, das sich
„von" schrieb, und dem vermögenslosen Burschen
vom Land gar tief. —

Da der Abend hereinbrach, sah die Tante
nach ihrem Nättelchen und fand die beiden
jungen Leute im Garten: ihr Auge blieb mit
Wohlgefallen auf dem Mädchen haften, das, soeben
einen Dialog aus der Zaire mit viel Pathos,
aber auch ziemlich richtigem Ausdruck vortrug;
Jakob stand mit verschlungenen Armen vor ihr
und sah andächtig zu ihr hinauf. Die gefeiertste
Aktrice der Residenz konnte keinen aufmerksameren
, dankbareren und verehrungsvolleren
Zuhörer haben.

Jetzt aber mußte die Tante leider die Theaterprobe
unterbrechen. Man verabschiedete sich von
Nanncheh und den fremden Geistlichen; def
Ortspfarrer und Sambuga gaben der kleinen
Gesellschaft noch ein Stück das Geleit.

(Fortsetzung folgt.)


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