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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-10/0004
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Die Markgrafschaft

Ehrfurcht vor Hebel / wo

rte von Wilhelm Hausenstei

n

Dr. Wilhelm Hausenstein, geb. am 17. April
1882 zu Hornberg im Schwarzwald — an seinem
Geburtshause wurde am 70. Geburtstag eine
Gedenktafel geweiht —, Träger des Johann Peter
Hebel - Preises 1950, Präsident der Bayerischen
Akademie der Schönen Künste in München, zur
Zeit Geschäftsträger der Bundesrepublik Deutschland
in Paris, sandte am 11. September 1952 aus
Paris für das Freundebuch des Langenharder
Hebelstübli sein Bildnis sowie folgende Worte
über Hebel:

„Mein Verhältnis zu Hebel ist das der reinsten
Ehrfurcht vor einem Mann, den ich zu den
großen Gestalten der deutschen Literatur ünd
der Weltliteratur zähle. Das „Schatzkästlein"
liegt immer auf meinem Nachttisch, und ich lese
seit vielen Jahren fast täglich darin. Einer der
gescheitesten Männer, die ich in meinem nun
schon recht langen Leben kennen gelernt habe,
hat mir einmal gesagt, eine Anekdote von Hebel
mute ihn an wie ein Stück Erzählung von
Herodot, oder umgekehrt: ein erzählendes Stück
Herodots mute ihn an wie eine Anekdote von

Hebel. Ich habe dieser großartigen Kennzeichnung
Hebels nichts hinzuzufügen; sie spricht für
sich selbst und scheint mir unmittelbar überzeugend
zu sein.

Mit freundlichen landsmannschaftlichen Grüßen
und Wünschen Ihr

Dr. Wilhelm Hausenstein."

Von seiner Jugend üi Hornberg erzählt
Hausensteins Buch „Lux Perpetua" Summe eines
Lebens aus dieser Zeit. Von seiner Verbundenheit
mit unserer Heimat kündet auch sein 1930
entstandenes Buch „Badische Reise". Aus dem
reichen Schaffen des großen Kulturphilosophen
und Kunstschriftstellers seien außerdem folgende
Werke genannt: Der Bauern-Bruegel (1910), Die
bildende Kunst der Gegenwart (1915), Der Isen-
heimer Altar Grünewalds (1919), Vom Geist des
Barock (1920), Die Malerei der frühen Italiener
(1922), Altfranzösische Tafelmalerei (1923), Europ.
Hauptstädte (1932), Das Land der Griechen (1934),
Begegnungen mit Bildern (1947), Adalbert Stifter
und unsere Zeit (1948). E. B.

Aus reinen Quellen

Als ich diesen Sommer einmal eine Basler
Gesellschaft an die alten Hebelstätten des Wiesentals
führen durfte und zuletzt auch — sozusagen
als Krönung und Abschluß — die Quelle der
Wiese droben am Feldberg zeigen wollte, erschrak
ich zutiefst über den unwürdigen Zustand,
in dem sich diese Wiege des lieblichen Feldberg-
töchterleins jetzt befindet. Da ist rings herum
wüstes Geröll und — was noch schlimmer — die
Schuttablage; denn dazu scheint diese Stelle von
der ganzen Umgebung gebraucht zu werden. Zu
allem hin rinnt die junge Wiese aus einem sehr
unromantischen Zementrohr in die freie Himmelsluft
. Nur die schattigen Tannen entsprechen
noch ein wenig der Schilderung, die Hebel von
der Kinderstube der Wiese gibt, und ich habe
diese Verse auch dort vorgelesen, nicht ohne
einiges Schamgefühl und nicht, ohne einige mißfällige
Betrachtungen der Basler Gäste einstekken
zu müssen. Wir wollen uns doch diese schönen
Verse Hebels vom Ursprung der Wiese einmal
wieder vergegenwärtigen, die vielleicht doch
einer zuständigen Instanz oder Organisation
Anlaß und Anleitung geben möchten, dies
idyllische Plätzlein am Hebelhof und am oberen
Ende des Hebelweges in eine diesem unserm
Hebel gemäße, trauliche Erinnerungsstätte zu
verwandeln. Wir lesen da:

„Wo der Dengelegeist in imitternächtige Stunde
uf em silberne Gschiir e goldemi Sägese denglet
(Todtnaus Chnabe wüsse's wohl) am waldige Feldberg.
Wo mit lieblichem Gsicht us tief verborgene Chlüfte
d'Wiesen uuseluegt un check ins Todtnauer Tal springt,
schwebt mii muntere Blick un schwebe miini Gidanke.
Feldbergs liebliche Tochter, o Wiese, bis mer Gottwilche!
Loos, i will di jetz mit miine Liedere ehre,
un mit Gsang bigleiten uf diine freudige Wege!
Im verschwiegene Schoß der Felse heimli gibore,
vo de Wulke gsäugt mit Duft un himmlischem Rege,

schloofsch, e Bütschelichind, in diim verborgene Stübli,
heimli, wohlverwahrt. No nie henn menschlichi Auge
güggelet un gseh, wie schön mii Meideli do lit
im christallene Ghalt un in der silberne Wagle;
und kei menschlich Ohr het no sii Otmen erlustret
oder sii Stimmli ghört, sii heimlich Lächlen un Briegge.
Numme stilli Geister gönn uf verborgene Pfade
uus un ii un ziehn di uf un lehre di laufe,
genn der e freudige Sinn un lehre di nützHchi Sache,
un es isch kei Wort verlöre, was sie der sage —
Denn sobald de chasch uf eigene Füeßlene furtchoo,
schliefsch' mit stillem Tritt us diim christallene Stübli
barfiß uusen un luegsch mit stülem Lächlen an Himmel".

Es ist uns bei diesen Eingangsversen immer
auffällig, wie lange der Dichter am Anfang seines
Epos verweilt, wie er dreimal ansetzt, ehe
er in den Fluß seiner Dichtung kommt — man
wird fast an den Anfang der Homerschen Odysee
erinnert —; man spürt ihm vor allem deutlich
ab, mit welcher Liebe er bei der Wiege des
Mägdleins verweilt, dessen ferneres Leben er
besingen will, ja, wie ausschlaggebend wichtig
für das Wachstum und Gedeihen des Bergkindes
diese seine Quellstube bereits ist. Und wir erkennen
hier deutlich genug den reinen Humanisten
in Hebel mit seiner Forderung: zurück zu
den Quellen! Und diese Quellen müssen bei ihm
immer sauber und rein, lieblich und voll zarter
Geheimnisse sein: Und das ist wohl wiederum
das Geheimnis seiner Dichtung, die uns so anspricht
, daß aus dieser anima Candida — dieser
lauteren Seele — unseres Hebels alles so ursprünglich
und echt, alles so lieblich und liebevoll
, so sauber und quellenrein hervorsprudelt.

Und es war mir wie eine ernste Mahnung,
wie eine Gewissensfrage an uns Hebelleute von
heute, als ich diese verwüstete Wiesenquelle sah:
leben und schaffen denn wir noch aus reinen
Quellen?


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