Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-10/0010
8

Die Markgrafschaft

7ofef edjelb

Nachklänge zum sechzigsten Geburtstag des Komponisten

Der vielbemühte Begriff der „alemannischen
Statik" und die bei der Kunstbetrachtung allzu
gern geübte Betonung oberrheinischer Wesensart
bilden eine gewisse Gefahr für die Würdigung
eines Komponisten, dessen Persönlichkeit zwar
stark von diesen Faktoren geformt erscheint,
dessen Kunst aber — vielleicht gerade aus einem
echt alemannischen Fern-Drang heraus — jedes
behagliche Heimat-Kolorit verschmäht und dessen
Schaffen von Anfang an in artistische, nicht
ohne Mühe zu erklimmende Höhengefilde, in jene
allgemeingültigen Bezirke abstrakter Geistigkeit
vorstieß, in denen sich heute das wesentliche
schöpferische Musikleben abspielt. Daß das bis
jetzt vorliegende umfangreiche Gesamtwerk Josef
Schelbs einen gewichtigen Anteil an der neueren
Musikentwicklung habe, war aus Anlaß seines
sechzigsten Geburtstages an markanten Stellen zu
lesen und wurde in repräsentativen Aufführungen
vielerorts auch hörbar; dennoch läßt sich
nicht verkennen, daß die Resonanz seiner Schöpfungen
bisher noch nicht ganz ihrer Bedeutung
entsprach. Das mag nun allerdings auch wieder
an die typisch alemannische Abneigung erinnern,
sich im Marktgewühl des Tages durchzusetzen,
und der sarkastische Spott, mit dem der Komponist
einmal bemerkte, der bei Jubiläen und Geburtstagen
geübte Rummel sei ,,der Gesundheit
nur abträglich", bezeugt seinen Willen, mehr zu
sein als zu scheinen.

1894 in Bad Krozingen als Sohn eines Arztes
geboren, fühlt sich Josef Schelb noch heute mit
„jenem schönen Stückchen Erde zwischen Frei-
burgl und Basel" verbunden und berichtet, wie er,
so oft er in die Gegend kommt, nie versäumt,
den obersten Hof am Belchen-Westhang, direkt
am Wiedener Eck, zu besuchen, wo seine väterlichen
Urahnen seit vielen Jahrhunderten lebten
und deren Nachkommen noch heute wohnen. Den
Anteil fröhlichen Pfälzer Blutes in seiner Natur
verdankt er der Mutter. Sein Studiengang führt
über das Freiburger Berthold-Gymnasium und
einer kurzen Station in Basel an das Genfer
Konservatorium. Dort werden unter anderen
Otto Barblan und Bernhard Stavenhagen, der
bedeutende Liszt-Schüler, seine Lehrer, und auf
klavieristischem Gebiet liegen die ersten erstaunlichen
Erfolge des Heranwachsenden, der bald
als Pianist (u. a. als Partner des berühmten spanischen
Geigers Juan Manen) auf ausgedehnten
Konzertreisen bis nach Amerika vordringt. Seßhaft
wird der Künstler dann in Karlsruhe, wo er
von 1924 bis heute an der Badischen Hochschule
für Musik als angesehener Pädagoge wirkt und
bald — zugleich mit dem Professorentitel — seine
beamtete Stellung erhält.

Die eigenschöpferische Begabung macht sich
neben der pianistischen schon früh geltend und
weist den jungen Musiker, der sich auf diesem
Gebiete im wesentlichen autodidaktisch weiterentwickelt
, auf selbständige Pfade, deren Grundrichtung
im allgemeinen der musikgeschichtlichen
Entwicklung von Reger zu Hindemith entsprechen
mag, dabei aber außerordentlich eigenwillig
und konsequent verläuft. Die ausdrucksstarke
Melodik in Schelbs frühen Kompositionen
(etwa den 1920 in Köln erschienenen Michelangelo
-Sonetten) tritt bald hinter konstruktiven
Elementen und reicher Kontrapunktik zurück,
und alte, streng polyphone Formen wie Passa-
caglia, Doppelfuge und Kanon sind häufig in
seinen Werken anzutreffen. Dazu kommt eine
ebenso vitale wie feinnervig komplizierte Rhythmik
, verbunden mit der Freude an absonderlichen
Instrumentalwirkungen (beispielsweise in dem
Konzert für Trompete und Posaune oder dem
unter Hans Rosbaud uraufgeführten Baßklarinetten
- Konzert), die seinen Schöpfungen eine
außerordentlich charakteristische, für den ungeschulten
Hörer allerdings nicht gerade leicht eingängige
Diktion verleihen. Doch kann dem Kenner
nicht entgehen, wie sich hinter dieser linearen
Vergeistigung (die klanglich oft die Tonalität verläßt
und sich gelegentlich sogar der Zwölfton-
Technik nähert) eine Ausdruckskraft verbirgt, die
manchmal in den langsamen Sätzen seiner
Sinfonien und Konzerte beglückend zutage tritt,
wie es auch die Freiburger Uraufführung der
Vierten Sinfonie unter GMD Vondenhoff offen-
t barte. Jenes schöne Wort Hermann Burtes, wonach
der Alemanne bei aller Sprödigkeit doch
,,ein wenig weich im Kerne" sei, gilt wohl auch
für den Menschen Schelb, trotz all seiner Neigung
zu feinem Spott und der unbestechlichen
Klarheit seines Blicks. Der Meister selbst deutet
sein Schaffen einmal dahin, daß der Hang zu
objektiver Formung ein sehr persönliches, empfindsames
Klangbewußtsein zu verbergen suche,
wodurch das Meditative seiner Natur „in die
Kurve zum Explosiv-Dynamischen zwangsläufig
einbiegen kann". So wird es nicht verwunderlich,
daß in neueren Werken Schelbs, wie dem unlängst
von Müller-Kray in Stuttgart und Karlsruhe
aufgeführten Orchesterkonzert, anstelle der
früheren kammermusikalisch abstrakten Linien
Klänge mit der hymnischen Wucht Bruckners
erscheinen, oder daß seine Bühnenwerke, das von
GMD Eimendorff in Mannheim uraufgeführte
Ballett „Notturno" oder die erstmals in Saarbrücken
erklungene „Schöne Lau" an Farbigkeit
und Theaterwirksamkeit keinen Wunsch offen
lassen. Die Oper „Charlotte Corday" ist ein
düster-großartiges und dramatisch schlagkräftiges
Bild aus der französischen Revolution; die während
des Krieges in Straßburg geplante Uraufführung
scheiterte an einem Verbot von höherer
Stelle, das heißt an dem Unbehagen, welches das
Thema „Tyrannenmord" dort auslösen mußte!

Schelb ist ein außerordentlich fleißiger Arbeiter
, dessen Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit an
das Beispiel Schuberts, Regers oder Hindemiths
erinhern. Als ein großer Teil seiner Kompositio-


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-10/0010