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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-03/0014
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Die Markgrafschaft

Wald zu machen, zwischen dessen Bäumen alle
zahmen und wilden Tiere, die ich kannte, in
Gestalt von vielerlei Knöpfen wohnten, meckerten
, muhten, miauten, bellten und brüllten. Es
ging oft laut her in Großvaters Stube, aber nur
am Vormittag, wenn sonst niemand Zeit hatte,
darin zu sein.

An den Nachmittagen durfte ich mich nicht
auf so laute Weise beschäftigen. Wenn die Tanten
spannen oder nähten und Großmutter strickte
und flickte, gab es immer Abfälle, aus denen ich
selbst etwas zurpfen konnte. Und daneben bettelte
ich: ,,Verzell mer öbbis". Aber keine konnte
es so gut wie meine Mutter daheim. Tante Ida
sang lieber mit mir, Tante Emma aber sagte:
„Wenn de größer bisch". Sie wußte, daß ihre
Geschichten von Hexen und allerlei Aberglauben
nichts für ein so kleines Mädelchen waren.

Zuletzt mußte doch Großmutter dranglauben
und mir ein Märchen oder Geschichten aus früheren
Zeiten erzählen. Das tat sie meistens in
der Dämmerung, wenn die Tanten beim Melken
waren. Dann setzte sie sich in den alten Sessel
und nahm mich auf den Schoß. Solange sie
flickte, wollte sie nicht gestört sein. ,,I cha nit
chnäte un Chrut hacke mitenander", sagte sie.

Am Pfeiler zwischen beiden Fenstern stand
ein kleines altes Biedermeier-Kommödchen, in
dem Tante Emma ihre Raritäten aufbewahrte.
Die oberste Schublade roch so aufregend nach
Toilettenseife. War ich brav, durfte ich manchmal
die schmale rosa Schachtel öffnen und die
zwischen Papierspitzen liegende Seife beriechen.
Mit Inbrunst zog mein Näschen diesen Rosen-,
Maiglöckchen- oder Fliederduft ein, bis mir die
Luft wegblieb und Tante Emma erbarmungslos
den Deckel überstülpte und die Schublade wieder
abschloß.

Das größte und schönste Stück in der Stube
war der alte Glasschrank aus dunklem poliertem
Nußbaumholz. Breit und ausladend stand das
Unterteil mit seinen beiden tiefen Schubladen
da. Die glatten, großen Messingbeschläge glänzten
wie goldene Spiegelchen. Das Mittelteil mit
seiner herunterklappbaren Vorderwand war nach
oben abgeschrägt, so daß der obere Glasschrank
nur noch halb so tief war.

Die großen Schubladen bargen nichts, was
mir begehrenswert erschien, denn es roch darin
nach Kampfer, der zwischen Wollsachen verteilt,
die Motten fernhielt. Aber hinter dem Klappdeckel
, die kleinen Schublädchen und offenen
Fächer! Da roch es alt, unbestimmbar und darum
geheimnisvoll. Meine Nase war schon damals so
empfindlich gegen und für Gerüche, wie sie es
heute noch ist.

In diesen Fächern bewahrte Großvater seine
Papiere auf, alte Chronikblätter und Schriftstücke
über Erbteilungen, Verkäufe und Käufe.
Daneben Steuerzettel und Kalender. Kalender
waren nicht nur zum lesen und betrachten da, es
standen auch allerlei Daten darin vermerkt, die
sich auf das bäuerliche Leben bezogen.

Neben der Bibel lagen Starks Andachten und
Starks Gebetbuch, neben dem Gesangbuch aber

UorfrflljUng

Noch klirrt im Klang der Winde

Des Winters glashart Eis;

Noch starrt in rissiger Rinde

Der Baum; noch sproßt kein Reis —

Doch wellt schon die befreite
Stromflut und schäumt und blaut;
In ahnungsvolle Weite
Dein hoffend Auge schaut —

Und auch des Nahen Fahlheit
Spürt schauernd, daß es lenzt — :
Sieh, wie der Weide Kahlheit
Im Sonnenhauch erglänzt!

Ernst Sander

ein altes handgeschriebenes Kochbuch, dessen
Kochvorschriften mit den „Maß, Lot und Quent-
lein" und dem ungeheuren Verbrauch an Kalorien
für ein einziges Gericht ich erst Jahre später
studieren konnte.

Aber Stammbüchlein mit eingeklebten oder
gemalten Bildchen, Briefbogen mit gemalten
Täubchen und Vergißmeinnicht, Tintenzeug und
Bleistifte, diese Dinge lockten zum herausnehmen
. Es fand sich dann immer irgendwo ein
Fetzen Papier, den man bemalen, oder eine versteckte
Ecke, in der man die Tapetenblumen
nachziehen oder schraffieren konnte. Das lebendigste
aber war ein Bildchen, auf dem ein junges
Mädchen durch eine Frühlingslandschaft ging.
Auf einem Rosenstrauch sang ein kleiner Vogel.
Zu diesem Bildchen sagte mir Großmutter den
Vers, der aus dem Meisenruf kommt: „Zyt isch
do, Zyt isch do, 's Maideli mueß in d'Rebe goh".
Darum behielt für mich viele Jahre lang die
Meise den Namen „Zyt isch do".

Der oberste Teil, der Glasschrarik, barg nun
die allerschönsten Dinge. Neben dem feinen
Kaffeeservice standen schön ziselierte Weingläser
und zwei enge, hohe, geschliffene Champagnerkelche
, dahinter ein riesiges rundes Tablett
, rotlackiert und mit einem Kranz aus goldenem
Weinlaub bemalt. Großmutters gutes Porzellan
paradierte auch dort. Aber dies alles war
nichts gegen den Duft, der aus der Teedose kam.
Zwischen den Teeblättern lagen Stengelchen von
ganzem Zimmt, und der ganze Glasschrank war
erfüllt von diesen Düften. Wurde bei Besuch
oder an Sonntagen ein Tee aufgebrüht, durchzog
dieser Würzgeruch die ganze Stube.

Und jetzt will ich das Glastürchen schließen.
Alles ist vergangen. Der Schrank steht in einem
anderen Müllheimer Haus; der alte Medizinalrat
kaufte ihn, als die Großeltern gestorben waren.
In meinem Schrank stehen nur die zwei alten
Sektkelche, und in meiner Küche das alte, riesige
Tablett, das seinen Glanz eingebüßt hat bis auf
ein wenig dunkelroten Lack. Es dient jetzt gewöhnlichen
, praktischen Zwecken.

Alles Geheimnisvolle ist dahin, vom Leben
entschleiert und in der Zeit versunken. Nur dann
und wann weht eine Ahnung damaligen Kinderglücks
um mich, wenn ich mein Zimmtdöschen
öffne. Jda Preusch-Müller


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