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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-01/0010
hell und ungeniert in den Aktenstaub wieherte,
als grase er noch auf den fetten Matten seiner
Oberländer Heimat.

Unter einer sauberen Zeichnung des ötlinger
Pfarrhauses und dem Datum vom 26. Mai 1756
waren dort folgende Verse zu lesen:

Hochfürstliche Verwaltung!
Hier sieht man die Veraltung
der schlechten Pfarrhausfenster.
Sie stehen als Gespenster
in meinem besten Zimmer,
ich mag sie wahrlich nimmer!
Es sind derselben drei,
an allen ist kein Blei
und keine gute Scheibe,
sie müssen mir vom Leibe.
Ich bin mit Weib und Kind
vor Regen und vor Wind,
im Winter vor Erkalten
sehr übel aufbehalten.
Zudem so ist es endlich
nicht zierlich, sondern schändlich,
ein Pfarrhaus wahrzunehmen,
des Fenster so beschämen
und überall zerfetzet
und mit Papier zerplätzet,
daß jedermann drob schilt.
Drum bitte ich um neue,
worauf ich mich schon freue.
Hochfürstliche Verwaltung!
Ich bleibe ohn' Erkaltung
vor das begehrte Glück
Ihr Diener

Pfarrer Ludwig.

Und die Antwort? Nahm man mit Befremden
oder gar indigniertem Stirnrunzeln von diesem

2Ü6 Tlummtc geftrtdjen /

Auf Jahrmärkten und in Pratern gesellte sich
zum Berg- und Talkarussell eine Bude, der diese
geräuschvolle Nachbarschaft großen Vorteil
brachte. Sie eröffnete stets als eine der letzten,
dann aber mit Wirbel und Sog, unwiderstehlich.
Der Schausteller, der mit ihr später die Welt
durchreiste, befriedigte Gaffer und Lacher. So
hatte er stets eine volle Kasse.

Sein Riesenkänguruh, Lukas genannt, boxte
mit erstaunlicher Sicherheit und wahrte dabei
eine derartig unbeteiligte Miene, daß kein Besucher
der komischen Wirkung hätte widerstehen
können.

Das andere Zugstück, Marinelli, in einem
Trikot grün - weiß - rot, einen pechschwarzen
Sizilianer, stellte der Anreißer als „Wunder der
Gelehrten beider Hemisphären unserer Erdkugel
" der Menge vor. Die Brust dieses Mannes
reichte knapp aus für die Medaillen und den
Regenbogen der Ordensbänder, mit denen alle
Staaten ihn bedachten.

Marinelli erschien jeweils mit einer riesigen
Glasbowle, mit Wänden so geschliffen, daß zwei
Dutzend blanker, chinesischer Goldfische dadurch
vergrößert zur Wirkung kamen. Die Tiere machten
einen gepflegten Eindruck.

Wieviele Jahre seines Lebens hatte der Meister
darbend im Schatten mit anderen Namenlosen
zugebracht, um, in Geduld ohnegleichen,
den genialen Einfall eines Artisten rampenreif
zu machen, den Magen langsam bis zu einem
Behälter auszudehnen, der jeden Einspruch der

seltsamen Bittgesuch Kenntnis? Im Gegenteil,
die Behörde hatte Humor und zahlte in gleicher
Versmünze zurück, indem sie kurz und bündig
erwiderte:

Hierauf wird resolvieret:
die Fenster reparieret!

Der Pfarrer Christian Ludwig hat sich noch
lange der neuen Fenster und des Blicks in den
herrlichen Oberrheinwinkel erfreut. Am 12. Juni
1775 findet sich sein letzter Eintrag ins Ötlinger
Kirchenbuch. Hierauf legte er die Feder aus der
Hand und verlebte noch fünf wohlverdiente
Ruhestands jähre an der Stätte seines ehemaligen
Wirkens, von der er sich — begreiflicherweise —
nicht mehr zu trennen vermochte. Im Jahre 1780,
als der junge Hebel gerade unter die Candidati
Ministerii ecclesiastici aufgenommen wurde, ist
der zum alemannischen Wahlbürger gewordene
Schlesier aus dem irdischen in den himmlischen
Ruhestand versetzt worden.

Lieber Leser, wenn dir droben im rfcben-
umgürteten Hügeldorf der köstliche ötlinger im
Becherglase blinkt, vergiß nicht einen Schluck
auf den wackeren Pfarrherrn zu leeren, d^r
schon vor zweihundert Jahren um das Geheimnis
wußte, daß sich zerbrochene Pfarrhausfenster
rascher mit Humor als mit Geschimpf und zornrotem
Unmut flicken lassen. Ich für meinen Teil
weihe ihm sogar für so beglückende Weisheit
stets einen ganzen Halben!

Erzählung von Franz Schneller

Tierschutzvereine ausschloß, er böte für vierundzwanzig
Fische zu wenig Raum. In diesen Magen
stürzte Marinelli nicht nur eine unfaßlich große
Wassermenge samt Einlage, er war auch fähig,
umgekehrt, über die Rutschbahn der Speiseröhre
den ganzen Segen wieder von sich zu geben, ein
Vorgang, eingeleitet und begleitet von einem
Trommelwirbel.

Jahrelang lief die berühmte Nummer. Die
Besorgnis des Schaustellers, die Natur des Mannes
möchte eines Tages der unmenschlichen Anstrengung
nicht mehr gewachsen sein, tat Marinelli
scherzend mit der Bemerkung ab, der Vogel
„Nimmersatt" treibe das gleiche Spiel seit Adams
Zeiten. Was die mitwirkenden Goldfische im
Stillen dazu sagten, drückte sich in der Sterblichkeitsziffer
aus, die sich in ihrem Berufszweig
bereits der Vierstelligkeit näherte. Allerdings
fehlte diesen Spielpartnern auch jeglicher Willensansporn
, der geniales Schaffen in Spannung
hält.

Aber selbst der Muskulatur des mit Wille
hochgezüchteten Artistenmagens schlug, im Einklang
mit der Voraussage des Horoskops, die
Schicksalsstunde, die merkwürdigerweise mit
dem Verschwinden des boxenden Känguruhs
zusammenfiel, das, aller Pflege zum Trotz, mitten
im besten Geschäft der Lungenschwindsucht
erlag.

Marinelli blieb nach dem Generalstreik seiner
Magennerven kein anderer Ausweg als der
zum Facharzt. Dem genügte ein kurzes Abtasten

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