Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-07/0004
Ernst Sander:

3Ütf auf Me liefen

Das Landschaftsbild, das sich dem Schauenden
von Badenweiler aus darbietet, ist, ohne daß der
Betrachter an einen bestimmten Schaupunkt gebunden
wäre, seiner Struktur, seinen formenden
Grundelementen nach immer das gleiche. Denn
möge er von dem bastionartig vorspringenden
Platz beim Denkmal des Großherzogs an der
Wendung des den Schloßberg umrundenden
Promenadenweges aus jenes Landschaftsbild in
sich aufnehmen, möge er auf Sophienruh, Hausbaden
, dem Alten Mann, an der Ausmündung
des Schweighoftals oder selbst am Hang des
Innerbergs verweilend innehalten und, milde
entzückt, vor sich entbreitet sehen, was sich seinen
Augen an landschaftlicher Gegebenheit
schenkt: stets ist die Kontrastpunktik von Vorbergen
, Rheinebene und dem Zug der Vogesen
das beherrschende Hauptthema in der großen
Symphonie der Landschaft. Ein Wechsel des
Schaupunkts zeitigt lediglich Variationen, bereichernde
Vermannigfachungen jenes Themas,
dessen Sturkturelles unverändert bleibt. Dieses
aber bestimmt im letzten das Landschaftserlebnis.

Alles übrige ist sekundär. Mögen gleich die
wechselnden Beleuchtungen, die Farbveränderungen
, wie Tages- und Jahreszeiten oder meteorologische
Verschiebungen sie mit sich bringen,
als stimmungsschaffende Momente stärker auf
das bewußte Wahrnehmungsvermögen wirken
und auf die Landschaft zurückprojiziert werden:
die unveränderliche Struktur der Landschaft
rührt an das Unbewußte, an jene seelischen Urgründe
, in denen Fähigkeit und Bereitschaft zum
Erlebnis zu überwiegendem Teil wurzeln. Denn
damit wir etwas als „schön" empfinden, muß
eine harmonische Entsprechung walten zwischen
dem, was in uns, und dem, was um uns und vor
uns ist, und unsere individuellen Möglichkeiten
bestimmen dabei nicht die Art, sondern den Grad
des Erlebnisses. Eine der Grundtatsachen menschlichen
Daseins ist die Notwendigkeit, den Ausgleich
zu finden zwischen Unendlichkeitsdrang
und Gebundensein an das Irdisch-Endliche, zwischen
Verlangen und Sichbescheiden. Diese
Grundtatsache findet der Schauende in der Landschaft
um Badenweiler auf eine einmalige und
nahezu vollkommene Weise symbolisiert. Er hat,
als Nahes und Unmittelbares, das sanft gehügelte
Gebirgsvorland um sich, die Rebberge oder die
obstbaumbestandenen Wiesenhänge; er erblickt
die weite Rheinebene als zugleich bindendes und
scheidendes Mittelglied; er sieht als Hintergrund
die edel geschwungene Gipfellinie der Vogesen:
und gerade weil der verlangende Blick nicht ins
Unendliche abgleiten kann, weil der ferne Gebirgszug
ihn gewaltlos hemmt und ihn dennoch
das Unendliche ahnen läßt, wird er stumm, eindringlich
, aber ohne alle Härte an die conditio
humana, an die Endlichkeit seines Menschseins
gemahnt. Das Auge findet Halt und Grenze am
Wall der Vogesen, der das Landschaftsbild abschließt
. Aber damit ist es nicht genug; denn
nach Südwesten tut sich, mit der Burgundischen
Pforte, ein Stückchen Unendlichkeit auf, gleichsam
als Hinweis, es mit dem Sichbescheiden im
Endlichen nicht sein Bewenden haben zu lassen.
Eben dadurch aber wird unserem Landschaftsbild
, als Gegebenheit und als Symbol, seine Vollkommenheit
zuteil.

An diesem Punkte nun aber verbindet sich
mit der aufgezeigten eine weitere Erlebnisreihe
und wirkt sich je nach dem Kulturstande des
Betrachters aus. Beim ersten bewußten Erblicken
der Landschaft um Badenweiler, zumal unter
glücklichen Färb- und Beleuchtungsbedingungen,
den „stimmungsschaffenden Momenten", wie sie
eingangs genannt worden sind, fühlt man sich
zu der schweigenden Feststellung veranlaßt oder
gibt ihr gar lauten Ausdruck: „Wie ein Gemälde!"
Oder, enger gefaßt: „Wie ein Romantikerbild!"
So gefährlich es ist, Natureindrücke und Kunsteindrücke
zu vermischen oder auseinander abzuleiten
: in diesem Falle zeugt jene Feststellung
von Instinktsicherheit. Man weiß, daß in der
großen Zeit der künstlerischen Landschaftsgestaltung
, dem Barock, sich ein den Künstler
und den Betrachter verpflichtender Kanon herausgebildet
hat, der hart wie alle Abstraktionen,
etwa dahinlautete, daß der Bildhintergrund
durch eine gedachte Vertikale zu teilen sei, auf
deren einer Seite eine begrenzte, auf der anderen
Seite eine geöffnete, andeutungsweise unendliche
Fernschau statthabe. Diese Formel,
deren Anwendungsmöglichkeiten unbegrenzt
variabel waren, ist abermals Symbol und Ausdruck
für das Spannungsverhältnis zwischen
Unendlichkeitsdrang und Gebundensein an das
Endliche, und enthüllt sich somit nicht als willkürliche
Regel, sondern als Kunstweisheit, zumal
durch die Ausschließung des Maßlosen. Aus
dem früher Gesagten nun aber erhellt, daß eine
der Abwandlungen jeher Kompositionsformel
dem Betrachter der Landschaft um Badenweiler
als Naturgegebenheit entgegentritt: daher der
Eindruck des Kunsthaften, des Geistbeseelten
dieser Landschaft.

Ein weiteres Moment tritt hinzu. Denn der
Schauende sieht sich nicht der „Natur" gegenüber
, dem gestaltlosen Wildwuchs, der chaotischen
Formlosigkeit, dem Drohenden des Ungestalteten
, einer Welt gewissermaßen, wie sie vor
der Erschaffung des Menschen gewesen sein
muß: sondern er weiß sich in eine arkadische
Kulturlandschaft versetzt, in eine Gartenlandschaft
mit Rebhügeln und Obstbaumhängen, mit
kleinen Feldern und hainartigen Waldstücken —
in eine Landschaft mithin, die der „Werkstättenlandschaft
" der Industriebezirke und der anmutlosen
Ackerbaulandschaft anderer Bereiche entrückt
ist. Eben dieser Umstand aber, der wohlige
Reiz des vom Menschen Bewältigten (in dem sich
andeutet, daß das Dasein bei gutem Willen zu
bewältigen ist), die stetig geahnte Nähe aller
guten Gaben der Erde, des Weins, des Obstes, des
Kornes, und überdies der Blumen und Bäume,
leiht dieser Landschaft auf der Basis ihrer Struktur
die Nähe des Kunsthaften, ohne sie gänzlich

2


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-07/0004