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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1962-06/0015
Balthasar Mooser:

In der Lüneburger Heide, wohin Geschäfte
ihn geführt hatten, kaufte unser Vater einmal
zwei Heidschnucken. Wir Buben erfuhren es von
der Mutter, die einen Brief des Verreisten vorlas
. Voller Neugier fragten wir, was denn Heidschnucken
seien. Das Konversationslexikon ward
zu Rate gezogen. Ihm zufolge handelte es sich
bei den Heidschnucken um eine kleine Schafrasse
, die wegen ihrer Genügsamkeit in norddeutschen
Heidelandschaften gezüchtet werde.
Ihre Wolle sei nicht viel wert, eine Anmerkung,
die den Fragegeistern allerdings recht gleichgültig
erschien.

Mehrfach am Tag rannten wir nun zum Bahnhof
, um zu fragen, ob die sehnsüchtig erharrten
Verschläge mit den Heidschnucken noch nicht
eingetroffen seien. Als fast eine Woche verstrichen
war, ohne daß über die Ankunft der Tiere
etwas verlautete, beschlich die Bubenherzen
Furcht und Beklommenheit, der Transport könne
den Schafen zum Verhängnis geworden sein.
Vielleicht waren sie irgendwo zwischen der
Lüneburger Heide und dem Hochschwarzwald
auf der Eisenbahn eingegangen. Die hoffnungs-
geschwellte Freude überschattete bange Sorge.

Aber mit einem Mal waren sie da. Und schon
wurden die Verschläge vom Bahnhof zum elterlichen
Anwesen gebracht. Munter trippelten die
kleinwüchsigen, gedrungenen, fast ganz schwarzen
Schafe aus den Lattenbehältnissen hervor.
Wir bewunderten vor allem den Bock mit seinen
herrlich gewundenen Hörnern.

Ohne sich lange zu besinnen, begannen die
Heidschnucken auf der Wiese vor dem Stallgebäude
zu grasen. Es waren possierliche Geschöpfe
, die sich durchaus friedlichen Gemütes
der neuen Welt einfügten, in die sie verpflanzt
wurden. Man konnte ihnen die krausen Stirnwölklein
grauein und sie mit Gras- und Heubüscheln
füttern. Bald indessen büßten die Heidschnucken
die anfänglich so lebhaften Sympathien
mehr und mehr ein. Der Reiz der Neuheit
verblaßte. Auch Heidschnucken waren eben doch
nur Schafe.

Da ereignete sich etwas, was die Heidschnuk-
ken mit einemmal wieder höchst interessant
machte. Mit anderen Schafen weideten sie auf
einer Matte entlang der Landstraße, die vom
Städtlein her führte. Auf dieser Landstraße
trottete in aller Gemächlichkeit der Briefbote
heran. Plötzlich raste der Heidschnuckenbock auf
den nichtsahnenden Postler los und attackierte
ihn heftig. Der Angegriffene versuchte lachend
den wolligen Widersacher in Schach zu halten,
was den Widder aber in seinem Eifer nur bestärkte
, dem Briefmann den Weg zu versperren.
Stoß auf Stoß versetzte der immer wilder sich
Gebärdende dem Bedrängten. Erst ein rasch
hinzugeeilter Knecht konnte den Bock vertreiben
und in den Stall jagen. Als unser Vater die
Geschichte vom angegriffenen Briefträger hörte,
vermochte er zwar ein heiteres Lachen nicht zu

verbergen, ordnete aber an, die Heidschnucken
dürften an der Landstraße nicht mehr grasen.
Der Bock könne offenbar uniformierte Leute
nicht leiden.

Für uns freilich hatten die Heidschnucken und
vor allem der Widder, erneut lebhaftes Interesse
gewonnen. Wie?, wenn wir versuchten, sozusagen
die Probe auf's Exempel zu machen, um
festzustellen, ob der Heidschnuckenbock den
Uniformierten wirklich nicht leiden konnte.

Verstohlenerweise holten wir denn auch am
nächsten Morgen den schwarzen Widder aus dem
Stall, legten ihm einen Strick um den Hals und
führten den willig Folgenden auf gedeckten
Umwegen zur Matte an der Landstraße, wo wir
uns zusammen mit dem Bock hinter einem
mächtigen, dicht belaubten Holunderbaum verbargen
.

Das Warten wurde uns reichlich lang. Endlich
tauchte der Briefträger auf. Als er auf der Höhe
unseres Verstecks anlangte, lösten wir den Bock
aus der Halsschlinge. Friedlich begann er zunächst
zu grasen.

Da — mit einemmal entdeckte er den von uns
Erwarteten. In mächtigen Sätzen jagte er der
Straße zu, und schon lag der Postbote auf der
Straße. Alles hatte sich blitzschnell abgespielt.
Wir aber fanden, wir seien gar nicht recht zum
Genuß des Schauspiels gekommen.

Der Briefträger wollte sich erheben, um Postsachen
aufzulesen, die beim Sturz der Ledertasche
entglitten waren — der Bock puffte ihn
aus Leibeskräften.

Inzwischen hatte man vom Stall her entdeckt,
was vorgefallen war, eilte dem Bedrängten zu
Hilfe, fing den Bock ein und brachte ihn in sein
Gehege zurück. Wir hatten uns rechtzeitig verziehen
können. Man stand vor einem Rätsel, wie
der Bock aus dem Stall hatte entweichen können.
Der Knecht, dessen Aufsicht er anvertraut war,
mußte einen gesalzenen Rüffel einstecken.

Wir indessen, unternehmungslustig, wie wir
waren, gingen miteinander zu Rate, ob wir das
Spiel mit dem Heidschnuckenwidder noch einmal
wagen könnten. Natürlich wagten wir es
noch einmal.

Ein paar Tage ließen wir vorsichtigerweise
verstreichen. Dann ging es von neuem ans Werk.
Wieder gelang es uns, mit dem Bock unbemerkt
hinter dem Holderstrauch in Deckung zu gehen.
Als der Briefbote auf der Landstraße vorüberschritt
, wurde der Bock auf ihn angesetzt. Er
traf sein Opfer dort, wo man, wie der Schwarzwälder
sagt, keine Nase hat, so gewaltig, daß der
Arme in hohem Bogen zur Erde geschleudert
wurde. Der gesamte Inhalt der Tasche lag weit
zerstreut herum. Wir hockten hinter unserem
Strauch und verfolgten den Angriff unseres
Lieblings mit jener Unbarmherzigkedt, die bei
derlei Anlässen Jugend an den Tag zu legen
pflegt. Wir waren dem Schauen so verhaftet, daß

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