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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1965-09/0004
Hans Rainer Comiotto, Schwanden I Glarus:

Jdj tjab (le getragen lieben 7at)c...

Ein Tagebuchblatt für Hermann Burte

Im Herbst 1954 stand der Männerchor Schwanden
(Schweiz) mitten in den Vorbereitungen für
ein Konzert mit Werken von Franz Philipp, des-
sen Aufführung im März des folgenden Jahres zu
einer glanzvollen Huldigung für den anwesenden
Komponisten wurde — der in diesem Umfang
ersten und bisher einzigen in der Schweiz. Anreger
und Gestalter dieser Feierstunde war mein
Vater, der dem Schwarzwald in ganz besonderer
Weise verbundene Maler und Musikschriftsteller
Hans Comiotto.

Nach einer reichen Woche gemeinsamer Gespräche
und vorbereitender Besprechungen mit
Professor Franz Philipp in Freiburg unterbrach
ich meine Heimreise am 19. Oktober in Efringen-
Kirchen, um Hermann Burte aufzusuchen und
ihn zu unserem Konzert einzuladen. Waren es
doch vornehmlich Burte-Texte, die auf dem Programm
standen.

In föhnigem Brand, fiebrig-farbig glühte das
herbstliche Markgräflerland. Am Isteiner Klotz
röteten sich die Buchen. An Hügeln und Hängen
züngelten die Reben als gelbes Geflämme zum
schweren, grauen Himmel. Ein großer, warmer
Ton schwang in der Luft. Des Weges unkundig,
wandte ich mich auf gut Glück von der Station
den ersten Häusern Efringens zu. Ein freundlicher
Postbeamter wies mich auf meine Frage
hinüber ins Nachbardorf Kirchen. Über eine
kleine Brücke gelangte ich in eine schmale Allee,
die wieder zur breiten Straße führte. Wie frei
und offen doch die beiden Dörfer Efringen und
Kirchen in der Ebene liegen, von den Hügeln abgewandt
, dem Rheine zugewandt. Es ist, als ob
die Häuser ins Elsaß hinüberlauschten. Als ich
dann, noch eine kleine Spanne vor Kirchen vor
dem Schreinerhause stand, in dem der Dichter
zu jener Zeit wohnte, einem Haus aus Stein in
der Farbe dunklen Lößes, empfand ich auf einmal
die gewitterschwangere Luft als bangen
Druck. Oder war es die bevorstehende Begegnung
mit Burte, dem Menschen, die mir schwer
machte? Ein anderes ist es, den Künstler in seinem
Werk zu lieben, ein anderes, zum Künstler
als Menschen zu kommen. Den menschlichen
Raum eines in seinem Werk Verehrten zu betreten
ist wohl immer ein Wagnis, das den verehrenden
Besucher gar oft vor eine entscheidende
Probe stellt.

Auf mein Läuten erschien ein Junge in einer
Schreinerschürze. Er führte mich durch einen
Nebeneingang in das Haus. Ja, Herr Doktor Burte
sei daheim, sagte er. Er versicherte mir, daß ich,
unangemeldet wie ich kam, den Dichter gewiß
nicht störe und geleitete mich zwei Treppen hoch.
Er klopfte oben an eine breite Türe zur Linken,
öffnete und trat ein. Ich hörte ihn einfach sagen:
„Herr Burte, en Herr will Sie spreche". Ich folgte
dem Wink des Jungen, ging gleichfalls in das
Zimmer, in dem es sehr hell war, und stand vor

Burte. Er saß am Tisch und wandte sich mir in
seiner f elsenen Breitschultrigkeit zu. Seine Augen
, die von der hohen freien Stirn des gewaltigen
Haupts beschatteten, sahen mich mit eindringlicher
Ruhe an, und es schien mir, als blickten
sie einen Augenblick befremdet, mißmutig
über die Störung, abweisend und schwermutsvoll
zugleich. Ich grüßte. Burte reichte mir seine
schwere, weiche Hand, während ich mich etwas
verwirrt bemühte, meine Person und den Zweck
meines Besuches kurz zu erklären. Franz Philipps
Name kam mir zu Hilfe, denn als Burte hörte,
daß ich einige Tage bei ihm gewesen und von
ihm Grüße zu überbringen habe, kam vertrauende
Freundlichkeit in seine Augen. Er schob mir
einen Lehnsessel zurecht und lud mich zum
Sitzen ein. Den Burschen, der immer noch im
Zimmer stand, hieß er meinen Mantel abnehmen:
„Nimm dem Herr syn Mandel un hängen uff!" —
und ward entlassen. Nun wollte Burte vor allen
Dingen meinen Namen noch einmal genau hören.
Er schrieb ihn mit spritzender Feder zu Papier,
großletterig schwer, als grübe er ihn in Kalkstein
. Dann mußte ich ihm in Ruhe erzählen, was
ich beim Hereinkommen etwas hastig vorgebracht
hatte. Ich berichtete von der ersten Begegnung
meines Vaters mit Professor Franz
Philipp droben in Bernau, wo sich der Musiker
für den Maler, und der Maler hernach für das
Schaffen des Musikers begeistert hatte. Ich wies
auf die thematischen Schwandener Chorprogramme
hin, mit denen mein Vater ganz neue Wege
beschritt und erwähnte die begonnene Arbeit am
Franz Philipp - Konzert. Ich reichte Burte die
Schriften über die vergangenen Konzerte. Schon
beim ersten Durchblättern urteilte er: „Diese
großartig geschlossene Sache imponiert mir". Dabei
bemerkte er auch, wie mir scheinen wollte,
fast mit einer leisen Wehmut, daß alles so schön
gedruckt sei. Während der Dichter nun ein Büchlein
nach dem andern genau, fast andächtig
durchging, auf dieser und jener Seite einen Vers
oder eine Stelle las, war jedesmal eine kleine
Stille im Zimmer. In jenen Augenblicken zogen
mich die Dinge des Raumes in ihren Bann. Der
Tisch, an dem der Dichter saß, war ein wackeres,
hellhölziges Stück mit einer großen Platte. Das
Schreibzeug lag darauf, großes Papier und die
Feder; dann waren dazwischen mancherlei
Gegenstände, eine ausgerauchte Pfeife und
eine weggeschobene, leergetrunkene Kaffeetasse.
Ringsum sah ich einige Bilder von Burte, dem
Maler. Mir gegenüber hing an der Wand ein
kleiner tönerner Crucifixus — ohne Kreuz. Das
Oktoberlicht schien mild ins Zimmer und umgab
den Dichter und seine Dinge. Ich erkannte die
Schönheit von Burtes Schreibeplatz an Tisch und
Fenster in diesem einf achen Räume, der die weite
Landschaft ganz zu sich hereinließ, hereinrief die
Wiesen und die Straßen, die Pappeln und den

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