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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1965-12/0016
Erzähler: Diese Fortsetzungen sind anscheinend nie erschienen
. Nicht, weil es den Freunden an Witz dazu
gefehlt hätte. Oder an Lust zu weiteren Denkspielen der
gleichen halb ernsthaften, halb lustigen Art. Aber am
2. November 1791 erhält Hebel nach den langen Jahren
des Wartens — er hat schließlich vor elf Jahren schon,
im November 1780, sein theologisches Examen gemacht!
— die Berufung als Subdiakonus nach Karlsruhe. Am
13. November hält er in Lörrach seine Abschiedspredigt.
Dann trägt ihn die Postkutsche weg aus dem Oberland,
aus Proteopolis — d. h. Lörrach — und hinunter ins
Welschkornland. Aus der Mitte gleichgesinnter Freunde
unter fremde und würdige Leute. Aber auch aus der
Enge einer provisorischen und untergeordneten Arbeitsstelle
auf einen festen beruflichen Standort, in ein beachtliches
Amt mit schönen Aufgaben. Es wird dem
schon 31 - Jährigen zum Ausgangspunkt einer ehrenvollen
Laufbahn werden. Wird Hebel über Amt und
Würden —

Sprecher: — das jugendlich-galgenhumorige Spielen mit
den Begriffen des Nichts und des Proteus vergessen?
Werden ihm über dem Umgang mit neuen Bekannten
und neuen Vorgesetzten die Lörracher Freunde aus dem
Sinn kommen? In der Karlsruher Hofluft die Erinnerung
an die balsamische Atmosphäre des Oberlandes
zerschweben? Nein, gewiß nicht. Das wissen wir. Aber
wie und wie sehr Proteusertum und Oberlanderinnerung
dem Subdiaconus, Hofdiaconus, Professor, Direktor
und zuletzt Prälaten Hebel in Karlsruhe lebendige
Lebensluft geblieben sind, — davon das nächste Mal.

@6 wat am f)eüigabenb von ^toan^g 7at)cen

Ein Erlebnis von Hermann Landerer

Verstimmt und unruhig saß ich mit anderen
im tiefen Keller des Posthotels in Pforzheim.
Man hatte mich als Quartiermacher für einen
Haufen grau- und weißhaariger Landser los-
'geschickt. Der Zug, der sie hierherbringen sollte,
stak im Tunnel und auch meine liebe Frau war
dabei, die ich weiß Gott wie lange nicht mehr
gesehen und sehr vermißt hatte .. .

Ein ganz irrsinniger Befehl meines Vorgesetzten
, der unter dem dicksten Zementblock im
Hotelkeller saß — feindliche Bomber waren im
Anflug auf die Stadt gemeldet — stieß mich
hinaus auf die menschenleere Straße . ..

Auf dem Marktplatz erwischte es mich dann.
In der untergehenden Abendsonne sah ich noch,
wie die Bomben beim Verlassen der Bombenschächte
in der Sonne aufblitzten. Ich spürte,
das Verderberi war nicht weit und dennoch tat
ich das Unklugste, was zu tun war. ..

Wie lange mich die Ohnmacht in den Krallen
hatte, weiß ich heute nicht mehr. Tiefe Nacht
umfing mich — die Stille des Heiligen Abends
oder die der Gräber. . . Nur zögernd begannen
sich meine wirren Gedanken einzuordnen. Ich
spürte es: alles an mir war noch intakt, obwohl
ich kein Glied meines Körpers zu rühren vermochte
. Auf mir schienen Berge zu liegen, so
daß ich nicht einmal die Lungen ausdehnen
konnte — und dann fiel es mir wieder blitzartig
ein. Ich war kopflos in ein Haus gelaufen, statt
mich mitten auf den freien Marktplatz zu legen,
und ich hatte es kaum betreten, als es von einer
Bombe zusammengerissen wurde . . .

Wie von weither hörte ich das Knistern und
Krachen brennender Balken, und ich lag auf dem
Rücken an den Zementboden wie angenagelt,
während über mir das Haus brannte. In meinem
Rücken spürte ich einen Mauerstein. Halberstickt
rang ich nach Atem, während mir der Kalkstaub
in den Augen fraß. Das bedeutete den langsamen
, aber sicheren Tod . . .

Ich hatte immer angenommen, daß ich in
einem solchen Fall wüßte, was zu tun sei! Nichts

wissen wir! Alles, was ich tat, war falsch gewesen
, und nun lief der Rest meines Lebens wohl
ab wie das Schicksal des Schrotts, der auf dem
Förderband in den Schlund des Schmelzofens
gebracht wird. Nichtigkeiten, die erst in diesen
Sekunden Wert bekamen, fielen mir ein, und
nur ein paar hundert Meter weiter stand vielleicht
das Liebste, das ich auf dieser Welt besaß

— hilflos wie ich und dem gleichen Schicksal
anheimgegeben — und wartete auf mich. . .

Ich glaube, ich war wieder in eine erlösende
Ohnmacht gefallen, denn als mein Denken wieder
einsetzte, wischte mir jemand den Kalkstaub
aus den Augen. Über meinem schon freigelegten
Kopf beugte sich ein lachender fremder Mensch

— ein Mann, der eine feindliche Uniform trug.
Er sprach Unverständliches und aus den paar
Brocken Deutsch, das er dazwischen mischte,
hörte ich heraus, daß er Jugoslawe sei — Kriegsgefangener
. Er habe mir, weil er als „Feind"
galt und nicht in den Schutzraum durfte, zugesehen
, wie ich unklugerweise in das Haus gelaufen
sei! Er tupfte mir an die Stirn: „Du vill
dumm!" stellte er sachlich fest und lachte. Verschämt
wischte er sich den Schweiß von der
Stirn, das Feuer war nämlich schon erschreckend
nahe gekommen. Dann meinte er: „Du mir rufen
— aber du nix kabudd!" Und dann zerrte
er, als ob es ums Sterben ginge, eine Schnapsflasche
aus seinem Mantelsack und ließ mir eine
feuerige Flüssigkeit zwischen meine verdreckten
Lippen laufen:

„Slivowitz sein vill gutt, Sodatt!" versicherte
er mir, und sein Lachen war wie das eines
Bauernbuben, der am Weihnachtsabend von seiner
Mutter eine Weintraube auf seinem Gabenteller
findet. . .

Dann riß er-mich mit übermenschlicher Anstrengung
aus meiner tödlichen Umklammerung
und wie der Schöpfer mich gemacht, stand ich
vor ihm in der winterlichen Kälte.. .

„Du vill kalt?" fragte er. „Kamerad vill
Slivowitz trinken, das sein vill gutt!" Und als

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