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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-12/0004
Otto Ernst Sutter, Gengenbach:

>öcc boenig Sceubebaum

In drei seiner Alemannischen Gedichte, „Die
Mutten am Christabend'', „Eine Frage" und „Noch
eine Frage" deutet Johann Peter Hebel Sinn und
Symbolik des Brauchs der Gabembescherung der
Kinder zur Weihnacht. Man kann sich keine innigere
Offenbarung über die Berufung dieser Sitte
denken, als unser Dichter sie in diesen Gedichten
darbietet. Es sind freilich keinerlei pathetische
Worte, in denen es geschieht — dafür berühren
sie um so tiefer das schlichte Gemüt, bewegen
deshalb uns um so nachhaltiger.

Von dem frühesten der Alemannischen Gedichte
Johann Peter Hebels, „Der Knabe im Erdbeerschlag
", sagt der verehrungswürdige (und
unerreichte) Nestor der Hebel-Kenner, Wilhelm
Altwegg, es^ handele sich um „ein Stück klarster
volkserszieherischer Absichtlichkeit" — eine Kennzeichnung
ihres Wesens, die auch für die drei
Weihnachtsgedichte gilt. Allerdings sind die volkserzieherischen
Mahnworte völlig unbelastet und
frei von billiger Moralisierungssucht. Man denkt
etwa an die „Merke" und „Item", angehängt an die
Erzählungen des „Rheinländischen Hausfreundes"
bzw. des „Schatzkästleins" — der Zeigefinger bekräftigt
nicht, was ausgesprochen wird; der Leser
empfängt die Ratschläge bisweilen überschimmert
von verhaltenem Humor . . .

Das erste der drei Weihnachtsgedichte schildert
die trauliche Ausschmückung des Bäumchens
durch die Mutter, die bedächtig und leise hin und
wieder geht, damit ihr Büblein, der liebe Engel,
der „wie ne Grof" schläft, nicht erwache. Äpfel und
Zuckerbrot, ein „Fazenetli" (Taschentüchlein), ein
Büchlein und ein schöner Helgen (Bild) werden
ins Gezweig gehängt. Habe ich an alles gedacht,
frägt sich die Geschäftige. Da fällt ihr ein, es
fehlt noch die Rute:

's cha si, sie freut di nit,
's cha si, sie haut der 's Füdeli wund;
doch witt nit änderst, sen isch's der gsund;
's mueß nit si, wenn d' nit witt.

Und willsch 's nit änderst ha,

in Gottis Name seig es drum!

Doch Muetterliebi isch zart und frumm,

sie windet roti Bendeli dri,

und macht e Letschli (kleine Schlaufe) dra.

Doch da läßt sich der Wächter draußen mit
dem Horn vernehmen. Schon ist es „Ölfi" (11 Uhr
in der Nacht). Der Leser der Gegenwart, muß,
um die Zeitfolge der Erzählung zu verstehen,
sich vorstellen, daß ehedem in ländlichem Dörfern
und Städten nicht am Heiligenabend, sondern
in der Frühe des ersten Feiertags den Kindern
beschert wurde .. .

Spielt schon das Gedicht „Die Mutter am
Christabend" darauf an, daß echte, tiefgründige
Mutterliebe auch an Weihnachten daran denkt,
das Leben dem Kind nicht im Glorienschein immer
ungetrübter Freude vorzugaukeln, sondern
auch die Möglichkeit der Schattenseiten des Daseins
zu streifen. So tritt die „volkserzieherische
Absichtlichkeit" in den beiden andern Gedichten

noch stärker in den Vordergrund. Der Dichter
frägt die Mutten:

Sag, weisch denn selber au, du liebi Seel,

was's Wiehnechtchindli isch, und hesch's bidenkt?

Denkwol, ich sag der's, und i freu mi druf.

O, 's isch en Engel usem Paradies

mit sanften Augen und mit zartem Herz.

Vom reine Himmel abe het en Gott

de Chindlene zuem Trost und Sege gschickt.

Er hüetet sie am Bettli Tag und Nacht.

Er deckt sie mittem weiche Fegge zue,

und weiht er sie mit reinem Otem a,

wird's Äugli hell und 's Bäckli rund und rot.

Er treit sie uf de Hände in der Gfohr,

günnt Blüemli für sie uf der grüene Fluer,

und stoht im Schnee und Rege d'Wiehnecht do,

se henkt er still im Wiehnechtchindlibaum

e schöne Früehlig in der Stuben uf,

und lächlet still, und het si süeßi Freud,

und Muetterliebi heißt si schöne Name.

In vier verschiedenen Häusern, in die der
Dichter den Leser führt, wird daran erinnert, wie
verschiedenartig die Bescherung geartet zu sein
pflegt. Im vierten Haus muß sich die Mutter damit
begnügen, in viel stacheliches Laub ein
schrumpfliges Äpfelein und eine dürre Nuß zu
hängen. Sie muß sich damit begnügen, das Kind
auf den Schoß zu nehmen und es am Busen zu
wärmen. Gott im Himmel sieht es, und er hat aus
manchem armen Büblein doch einen braven Mann
und Vogt und Richter gemacht und aus dem
Töchterlein eine brave Frau, "wenn's numme nit
an Zucht und Warnig fehlt."

Indessen, man ahnt beim Lesen des Gedichtes
„Eine Frage", daß der Künder echter Weihnachtserkenntnis
„Noch eine Frage" auf dem Herzen
hat. Und die Beantwortung dieser zweiten Frage
gibt ihm, die Möglichkeit, zu sagen, was für ihn
der Weihnachtsmann ist:

Lueg, liebi Seel, vom Menschelebe soll
der dornig Freudebaum en Abbild si.
Nooch binenander wohne Leid und Freud,
und was der 's Lebe süeß und liebli macht,
und was noch schöner in der Ferni schwebt,
de freusch di druf, doch in der Dorne hangt's.

Der „dornig Freudebaum" ist, worauf der
Dichter in einer Fußnote hinweist, eine Stechpalme
, Hex. Vielleicht war ursprünglich so ein
^stachliges Bäumlein"» zumindesten in einfachen
Häusern, der Chriistbaum schlechthin, bis dann
anstelle der Stechpalme die Fichte oder Tanne getreten
ist. Oder hat etwa Johann Peter Hebel die
Stechpalme nur darum zum Weihnachtsbäumlein
gemacht, um seine Lebensweisheit vom „dornig
Freudebaum" aussprechen zu können? Wie dem
auch sei, der „dormig Freudebaum" gibt dem Dichter
die Möglichkeit, sich über den Sinn der Dornen
im Leben zu äußern. Er tut es in drei Strophen.
Die letzte sei hier eingeschaltet:

Zum dritte sag i. Wemmen in der Welt
will Freude hasche, Vorsicht ghört derzue;
sust lengt me bald in d'Aglen und in Dorn,
und zieht e Hand voll Stich und Schrunde z'ruck.
Denn d'Freud hangt in de Dorne. Denk mer dra,
und tue ne wenig gmach! Doch wenn des hesch,
se loß der's schmecke! Gunn der's Gott der Her!

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