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Markgräfler Jahrbuch
3.1954
Seite: 105
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torhaus (heute Drogerie Liermann), und die Frau Doktor machte große Augen; das
Kopfschütteln hatte sie aufgegeben, weil sie sich damit abgefunden hatte, daß ihr
Mann in derlei Sachen keine Vorurteile kannte. — Wie aber brachte er die täglichen
Rundgänge zu den Patienten in Brombach, Haagen, Hauingen und Steinen,
dazu zwei oder dreimal in der Woche Märsche über Berg und Tal, auf den Rechberg
, nach Hägelberg und Hüsingen hinter sich? — Mancher von den heutigen,
modernen Ärzten wird es nicht begreifen, wie solch ausgedehnte Praxis, dazu noch
die Sprechstunden zu Hause, mit einem einzigen Paar Beine und ohne Fahrzeug
zu bewältigen war. Der Doktor Debus schaffte es und genoß obendrein die Märsche
durch Feld und Wald, wo ihm jedes Blümlein mit Namen und den ihm innewohnenden
Heilkräften vertraut war. Freilich, zu verträumter Naturschwärmerei war
keine Zeit, und wenn er sie einmal hätte auskosten können, am Sonntag etwa, bei
einem Spaziergang mit Frau und Kindern, so schaltete sich unwillkürlich der Werktagsgang
ein, so daß er immer ein Stück voraus war, und sie sagten, er renne
spazieren.

Die Arbeiter im Tal drunten und die Bauern auf der Höhe wußten, warum
sie klagten, als er nicht mehr kam: „So ein wie der Doktor Debus kriege mer nüm-
me"! — Es mochte einer in der dicksten Nacht amDoktorhaus schellen, weil daheim
der erwartete Stammhalter oder sein Schwesterlein sich sträubte, diese Welt zu
sehen, oder ein Schwerkranker im Fieber phantasierte, so schimpfte der Aufgestörte
zwar wie ein Türke die Treppe herunter und auf dem ganzen Weg; aber er zögerte
keinen Augenblick, zu kommen und zu helfen, ob es nun der Herr Fabrikant
war, oder der Ortskrankenkassenpatient, oder das verrunzelte Weiblein des
Kleinbauern, das keinen Krankenschein und kein Geld im Hause hatte.

Daß er trotz der großen Praxis kein reicher, nicht einmal ein wohlhabender
Mann wurde, daran war nicht allein die Inflation schuld, die die fleißigen Leute
um ihre Ersparnisse betrog. Wie oft sagte er zu seiner Tochter, wenn sie ihm die
Rechnungen aus dem Notizbuch schrieb: „Do isch nüt z'hole. Strich dur! Der het
sowieso nüt z'bisse un z'nage". Bei Berechnung seiner Guthaben richtete er sich den
Kuckuck nach dem Schema F der Ärztekammer, sondern nach einem eigenen System
sozialer Leistungsfähigkeit der Patienten. In den Notjahren des Krieges und
der Inflation steckte ihm da und dort eine Bäuerin ein Stück Speck oder ein Ei in
die Tasche; aber diese Kostbarkeiten blieben fast immer auf irgend einem Tisch
liegen, um den eine abgehärmte Frau und ein paar hungrige Kindermäuler versammelt
waren; sehr selten gelangten sie bis zur eigenen Familie. — Wenn man
ihm jedoch von „sozialer Einstellung" gesprochen hätte, so hätte er sich wahrscheinlich
lustig gemacht über das Schlagwort; daß er sie übte, haben ihm seine Patienten
auch nicht vergessen.

Unsre jungen Leute freilich kennen höchstens noch seinen Grabstein auf dem
Brombacher Friedhof. Wenn man über den Doktor Debus etwas hören will, muß
man schon zu den Großvätern und Großmüttern gehen; die wissen eine Menge
Geschichten von ihm zu erzählen. Sie tun es teils mit nachdenklichem Respekt, teils
mit einem Lachen auf den Stockzähnen oder auch von einem Ohr zum andern;
denn auch seine Späße — es waren feine und kräftige darunter, auch derbe und
däftige — gehen heute noch von Mund zu Mund. — Wenn er nach eingehender
Untersuchung dem ängstlich dreinschauenden Jobbi sagte: „Verrecksch no lang
nit", so war das dem eine recht tröstliche Diagnose; denn der Jobbi verstand auch

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