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Markgräfler Jahrbuch
3.1954
Seite: 108
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fenden Witz an den Mann zu bringen. — Der alte Kronenwirt hatte eben sein
Gasthaus umgebaut und vergrößert, und als der Doktor in die schöne, neue Wirtsstube
trat, da dachte er, keiner wüßte dafür einen passenderen Wandspruch. Am
nächsten Tag kam er wieder und legte einen Zettel auf den Tisch am großen
Kachelofen, beschrieben mit wenigen Buchstaben seiner zierlichen Handschrift:
Offb. Joh. Kap. III. V. 11. „Da habt ihr euren Wandspruch." Schnell holte der
Kronenwirt die verstaubte Bibel, schlug auf und las: „Halte, was du hast, daß
niemand deine Krone nehme!" — In das Gelächter stimmte wohl oder übel auch
der Kronenwirt ein, meinte aber dann: „Hinter d'Ohre willi mer en schriebe, dä
Spruch, aber an d'Wand mole — lieber nit." —

Auch ein solches Zettelchen lag bei der Speisenkarte auf dem Hochzeitstisch
seiner Tochter Alice, und niemand von den Hochzeitsgästen war bibelfest genug,
auswendig zu wissen, was in Jes. Sir., Kap. 31, V. 12, 13 geschrieben steht: „Wenn
du an eines reichen Mannes Tisch sitzest, so sperre deinen Rachen nicht auf und
denke nicht: Hier ist viel zu fressen." So rauh der Doktor sein konnte, er hielt auf
gute Umgangsformen. —

War es aber nicht eine höchst fragwürdige ärztliche Anweisung, wenn er einem
Patienten, der seine rheumatischen Glieder mit Schnaps einrieb, empfahl: „Dumme
Chaib, suffen lieber!" — Man sieht die gelehrten Häupter der Kollegen aus der
Heilwissenschaft sich bedenklich und unwillig wiegen und hört die entrüsteten
Proteste aller laienhaften Gesundheitsapostel: Als ob der Teufel Alkohol nicht so
schon genug Unheil anrichte! Wie könne ein verantwortlicher Arzt ihm noch Vorschub
leisten? — Und wenn sie erst erfahren, daß er selber das beste Beispiel gab,
müßte er da nicht ganz unten durch sein, ein solcher Doktor? — Seine langjährigen
Patienten und guten Freunde waren durchaus nicht dieser Meinung; denn erstens
hat er, wo es nötig war, dem innerlichen Gebrauch des Alkohols widerraten. Und
dann wußten sie auch, daß in der Brust ihres Doktors krasse Gegensätze und Widersprüche
sich tummelten und vertragen mußten. Warum sollte er bei so feinem
Geist nicht auch eine derbe Lust haben? Bei so viel tätiger Menschenliebe nicht auch
ein handfestes Laster? Gab das nicht seiner Persönlichkeit das eigenwillige menschliche
Gepräge, das in jedermanns Gedächtnis haften blieb? — Die sogenannten
Gebildeten nennen es seine Tragik. Vielleicht auch führt ein unheilbares Leiden, das
er in sich trug, auf die richtige Spur. — Aber was wissen wir schon davon, was das
Leben eines Menschen tragisch macht? Warum hat es der Memsen nötig, sich
zeitweilig zu betäuben, zu vergessen und sich dem wirklichen Leben zu entheben
? — Diese Frage führt uns in die Tiefen des Menschenwesens, die bis
heute noch, niemand ausgelotet hat. —

Er lebt unter uns weiter, weil er war wie du und ich, von etwas größerem Format
vielleicht und auffälliger umrissen, mit seinem Licht und Schatten, seiner
Stärke und Schwäche, und es ist wohl nicht zu wenig und nicht zuviel gesagt, wenn
man ein berühmtes Wort, etwas variiert, auf ihn anwendet: „Er war ein ganzer
Mensch, nehmt alles nur in allem!"

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