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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1951-01/0030
Du meine Güte, legen die ein Tempo vor! Ihren Spuren nach, sonst verlieren
wir noch die Restglieder unserer Reihe.

Hier sind sie durch, denn sie haben das Gewimperte Perlgras zertrampt,
drüben die blauen Schwertlilien geköpft, da einen „Bock" geschossen und vor uns
die glühroten Kerzen der Helmorchideen ausgelöscht. Still — hören Sie das
Sturmgeläut der großen Glockenblumen in Ihrem Pfirsich? Sicherlich haben die
wilden Knaben alle Röslein rot am blühenden Strauch gebrochen und sich die
Künstlerhände blutig zerstochen. Da — Sie sehen es am Blutroten Storchschnabel
darunter.

He, maulen Sie doch nicht da vorne! Sonst lasse ich Sie alle stehen und esse
die Pimpernüsse im Eschenwäldchen beim Abstieg ganz allein. Wie sie Ihnen
bekommen würden, ist mir egal. Ich habe Sie heute schon mehr als über Gebühr
in Verwarnung genommen, wozu ich nach Ihrem Verhalten amtlich gar nicht
verpflichtet bin. Aber man soll auch seinen Feinden Gutes erweisen. Das steht
zwar nicht in meiner Dienstanweisung, doch Sie kennen die betreffende Anordnung
im bekanntesten Werk der Weltliteratur sowieso nicht.

Vielleicht ist Ihnen, verehrter Zeitgenosse, am Schluß unserer Exkursion eine
weitere Lichtnelke aufgegangen, weshalb Naturschutz am Isteiner Klotz jetzt
nicht mehr nötig ist.

Doch den größten Dienst erweisen Sie nach den heute gemachten Erfahrungen
unserer Wissenschaft von der Natur und ihrem Nachwuchs. Sie verstehen:
Diesen Lastträgern an Gedanken- und Freilandarbeit nehmen Sie durch Ihre
verständigen Handlungsweisen die schwere Bürde und Mühe des Eindringens
in die letzten, noch unergründeten Geheimnisse, die dieses einzigartige Naturdenkmal
birgt, ab, weil das u. U. gefährlichen Verdacht erregen könnte.

Die so entlasteten Forscher werden es Ihnen ewig Dank wissen!

Ja und? Erwarten Sie mit Hilfe Ihrer bewundernden Blicke auf mich noch
weitere Verbalinjurieen? Dann werfen Sie doch Ihre Augen von unserem Aussichtspunkt
„zum Bergsteinkraut" hinüber zum gegenüberliegenden Hardberg,
bezw. auf das, was davon noch übrig ist. Dort wurde und wird in täglich sich
steigerndem Tempo Naturschutz in wahrhaft großzügigstem Ausmaß betrieben.
Am oberen Hang hinter der Ziegelhütte gediehen einst Seltenheiten, um derentwillen
Botaniker aus allen Herren Länder sich hier und am Istein einfanden. Um
ihnen die oft erheblich großen Zureisekosten zu ersparen, ist vom oberen Steinbruch
eine so mächtige Halde aus Abraumschutt darübergeworfen worden, daß
durch diese Schutzdecke die südwestlichsten Vorposten einer ganz fremdartig
zusammengesetzten Kontinentalflora jedem Zugriff für immer entzogen bleiben.

Dort, wo die Bahnlinie sich vor Angst an die graue Felswand drückt, bevor
sie vom 'südlichen Tunnel verschluckt wird, war noch vor drei Jahren das aller-
schönste, geradezu modellartig klare Bild einer zonalen Vegegationsgliederung
von der extremsten Felsenheide bis zum Steppenbuschwald aus Flaumeichen,
Felsenbirnen, Zwergmispeln, Felsen- und Zwergkirschen ausgestellt.

Sehen Sie dafür das aufgerissene Riesenmaul in der einst von Blumen über-
säeten Felswand? Das hat die Herrlichkeiten gierig verschlungen. Dafür lenkt es
Ihren Blick mit geradezu hypnotisch-dämonischer Macht von der sonst so reich
gesegneten Landschaft ab und gewährt Ihnen geradezu überwältigende Einblicke
in den zerarbeiteten Bauch der Erde. Das ist natürlich nur ein kleiner chirurgischer
Eingriff, um das uns so lieb und vertraut gewordene Antlitz der Heimat zu
modernisieren und kubistisch zu verschönern. Zitieren Sie mis Hamlet ja nicht
ein zweites Mal! J. V. v. Scheffel hat schon vor hundert Jahren in mitleidbitterem

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