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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1954-02/0035
hat zum 100jährigen Geburtstag Hebels einen Festgruß von köstlichem Humor
geschickt für Schopfheim, den wir hier den jüngsten Samstag (12. Mai) bei
einem Maiwein einigen Freunden vortrugen und der viel sanfte Wehmut und
mitunter auch wahrhaft homerisches Lachen erregte. Es kam ein prächtiges
Frühlingsgewitter dazu, das uns aus der Laube in die Gartenhäuser und von
dort zuletzt noch in die unteren Zimmer zu Herrn von MohP) verjagte, der
uns alle einlud, in seiner Gelehrtenstube die Hebelfeier fortzusetzen." Das
Blatt in der Hand des Vorlesers zitterte oft leise vor innerer Erregung, aber
„die Stimme war frisch, und es ergriff ganz besonders".

Scheffel hat später den „Festgruß zu Hebels hundertjährigem Geburtstag"
der Aufnahme ins „Gaudeamus" gewürdigt und diesem sogar den Ehrenplatz
des Schlußstücks angewiesen. Auch darin lag eine Huldigung an den gefeierten
Genius, denn die dichterischen Eigenschaften des „Festgrußes" rechtfertigen
eine derartige Stellung weniger. Gewiß sprechen Verehrung, Verständnis und
Liebe spürbar aus diesen Versen, die Dialektbeherrschung ist erstaunlich, wenn
auch allzu deutlich nach dem Vorbild genormt, aber der rein poetische Gehalt
der Dichtung wirkt nicht sonderlich stark, der Flug der Phantasie zieht etwas
konventionelle Kreise. Scheffel hat den Ausdruck „zusammengestoppelt" bei
Beschreibung der Entstehung wohl nicht von ungefähr gewählt. In der Tat
entspricht er der mosaikartigen Technik des Ganzen, in dem Einzelheiten am
unmittelbarsten ansprechen. Überdies erscheint uns das Bild, das Scheffel von
Hebel entwirft, in einem etwas biedermeierlich engen Rahmen gefaßt. Höhen
und Tiefen des HebePschen Wesens, das sich durchaus nicht nur im liebenswürdig
Philiströsen oder Heimatseligen erschöpft, sind darin schwerlich völlig
ausgemessen worden. Bestimmt sind spätere dichterische Verherrlicher Hebels
wie Emil Strauß oder Hermann Burte der wahren, wahrhaft klassischen Bedeutung
des Genius gerechter geworden. Allein man vergesse nicht, daß der
„Festgruß" einer krisenvollen Periode des Dichters entstammt, die bald zu
neuen Nervenerschütterungen und Zusammenbrüchen führte. So wird derjenige
das Scheffel'sche Gedicht am angemessensten beurteilen, der den guten
Willen für die Tat nimmt.

Daß Scheffels Liebe zu Hebel tief und echt gewesen ist, unterliegt keinem
Zweifel. Suchte und fand der von steter innerer Unrast gequälte, von schweren
Nervenkrisen heimgesuchte, vom Zweifel verfolgte Scheffel in Hebel doch
alles das, was ihm selber fehlte: die Fähigkeit, durch die milde Kraft eines
starken Herzens Ausgleich und Frieden zu erlangen, jenen inneren Mittelpunkt
zu finden, der feststehen, unbeirrbar wirken läßt in einem Dasein, dessen
„spezifische Schwere" (ein Lieblingsausdruck Scheffels) keinem Menschen erspart
bleibt. Zu einem solchen Bewußtsein ist der tragisch umwitterte Scheffel, der
trotz günstiger äußerer Lebensumstände nie zum Zustand der Zufriedenheit,
einer wirklichen Lebensmeisterung und Beruhigung vordringen konnte, kaum
gelangt, allein die stets wieder gesuchte Beschäftigung mit dem glücklicheren
Bruder in Apoll hat ihn wenigstens für Augenblicke ahnen und empfinden
lassen, daß es so etwas gab und daß es schön sein müsse, einer vom eigenen
Inneren vorgeschriebenen festen Kompaßlinie folgen zu müssen bis zum Ziel
unserer Tage.

3) Robert von Mohl, damals Professor der Staatswissenschaften in Heidelberg und
Mitglied des Badischen Landtages, wohnte 1859/61 während zweier Landtagsperioden
im Erdgeschoß des ScheffePschen Hauses in der Stephanienstraße, „auf das freundlichste
und gütigste aufgenommen von des Dichters gutmütigem Vater und von seiner geistreichen
, aber etwas exaltierten Mutter".

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