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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
23.1961, Heft 1, Müllheim Baden.1961
Seite: 261
(PDF, 52 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1961-01/0263
Ein Gutes hatte dieses sparsame Verfahren der Stadt. Wir Buben hatten es samstags
und mittwochs leicht mit dem „Stroßputze". Man brauchte nur die Gräbli
und das Gepflasterte zu kehren und konnte die ganze „Wischete" mit dem
Besen auf den Schotter schieben. Schnee und Regen und Kälte halfen mit, daß
bis zum Frühjahr die Steine „drin" waren. Kam aber eine Regenzeit, so half
kein Besen mehr, den Dreck von der Straße zu bringen; dann mußte die „Schori"
genommen werden, mit der sich dicke Würste von Straßendreck zusammenkratzen
ließen.

Der Winter in der kleinen Stadt rückte die Häuser und Gärten näher zusammen
. Eines frühen Morgens, wenn der alte Chrischte in bedächtigem Schritt
in seinen Holzschuhen über das Pflaster klapperte, war dies ein sicheres Zeichen
dafür, daß der Winter da war. Uber den Kopf hatte er das „Rueßgückli" gezogen
, seine Hände steckten in den Hosensäcken, und unter dem Arm hatte
er einen Sack geklemmt. Damit ging er zum Nachbar, um „Hälme" zu holen.
Das ist alle Jahre so gewesen, wenn es vor den Häusern glatt wurde. So, wie
sein Gang war, so bedächtig waren auch seine Bewegungen beim Streuen, als
müßte er einen Acker einsäen.

Es gab aber noch ein anderes sicheres Zeichen für des Winters Einzug: Die
Ankunft des Theaters Weinstötter-Jakobi. Wenn sich alljährlich die Erna Jakobi
in unserer Schulklasse meldete, dann wußten wir, daß auch die Eröffnungsvorstellung
des Theaters bald folgen würde. Dann kamen wieder die Theaterzettel
in die Häuser geflogen, von den Schauspielerleuten selbst ausgetragen, die als
gute alte Bekannte begrüßt wurden. Und dann saßen auch wir Buben eines
Sonntagnachmittags im „Schwanen"-Saal mit klopfendem Herzen vor „den
Brettern, die die Welt bedeuten". Ich sehe sie leibhaftig vor mir, die kleine
Bühne. Nur wenige Schritte im Umfang, aber doch groß genug, um selbst unsere
Klassiker in Würde über sie gehen zu lassen. In der linken Ecke vor der
Bühne, deren buntbemalte Leinwand leicht zitterte, wenn ein Lüftlein wehte
oder ein kräftiger Schritt sich vernehmen ließ, stand ein Klavier, das für Er-
öffnungs-, Begleit- und Schlußmusik sorgte. Als Bühnenbeleuchtung diente anfänglich
— ehe der elektrische Strom nach Müllheim kam — eine Reihe Petroleumlampen
, die vor dem Vorhang an der Bühnenrampe angebracht war.
Wenn von den Lampen eine nach der anderen angezündet wurde, so war dies
das untrügliche Zeichen, daß es bald losging. Für die Szenerie waren alle für die
kleine Bühne denkbaren Möglichkeiten ausgeschöpft. Ich entsinne mich noch
gut an das „Rotkäppchen" und „Schneewittchen", an die „Frau Holle" und das
„Aschenbrödel" — wie überhaupt all die schönen Märchen von der Theatergruppe
gepflegt wurden —, aber auch an „Wilhelm Teil", wobei ich mir vorher
Gedanken darüber gemacht hatte, wie sie wohl das auf der Bühne deichseln
werden, daß der See lächelt und zum Bade ladet. Doch wirklich, der Fischerknabe
saß in einem Kahn, man sah im „fernen" Hintergrund die Schneeberge,
und im Verlauf der Szene stellten sich auch Blitz und Donner ein. War nicht
Hermann Weinstötter, unser späterer Polizeiwachtmeister, der alte Attinghausen
?

In die Abendvorstellungen kamen wir damals kaum. Aber ich erinnere mich,
daß die Winterschüler — viele von auswärts waren in Müllheimer Familien die
ganze Kurszeit über untergebracht — regelmäßige Besucher waren, und als Müllheim
Garnison geworden war, fehlten auch nicht die Soldaten. Auch wochentags
wurde gespielt. Das Theater erfüllte für unser Müllheim und seine Umgebung
eine kulturelle Aufgabe mit Fleiß und Können. Was stand da doch nicht alles
auf dem Theaterzettel! Kleists „Der zerbrochene Krug", Lessings „Minna von
Barnhelm", Sudermanns „Heimat", „Ehre", „Das Glück im Winkel", Wilden-

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